Staub zu Staub
ist … sei dir … gegeben …
Sein dumpfer Blick ruhte auf ihr und der Tod selbst schaute ihr aus den schwarzen Augen entgegen.
Das Messer blitzte auf. Max hob den Arm und fing die Klinge ab. Blut tropfte aus seiner Faust. Ohne es zu beachten, drehte er dem Kerl das Messer aus der Hand und warf es fort. Gleich darauf riss er den Typen herum und zerrte ihn an sich. Mit der verletzten Handfläche presste er ihm Mund und Nase zu. Der Kerl schluckte heftig. Max drückte ihm den Kopf zur Seite und beugte sich über ihn. Im ersten Moment glaubte Mirjam, er würde sein Opfer beißen, stattdessen sah sie ihn etwas flüstern. Die Folie am Baugerüst flatterte im Wind. Mirjam dachte an Flügel. Viele Flügel, die wütend in der Luft schlugen. Der andere Angreifer löste sich aus der Starre, hob die Waffe und stürmte auf Max zu.
„Vorsicht!“, rief Mirjam.
Max stieß den jungen Mann von sich und wandte sich um. Das Messer verfehlte ihn. Er griff mit der gesunden Hand das Gelenk seines Gegners und drehte ihm den Arm auf den Rücken. Das Messer klimperte zu Boden. Der Jüngere unter-nahm keine Anstalten, seinem Komplizen zu helfen. Er hustete. Mit blut-verschmierten Gesicht taumelte er an der Wand entlang, bis er den Holztunnel erreichte und auf die Straße torkelte.
Mirjam blickte wieder zu Max und sah ihn im Schatten stehen und seinem Opfer etwas zuflüstern, die verletzte Hand auf dessen Mund gedrückt. Der Kerl schluckte, seine Lider flackerten.
Er trank Max’ Blut! Mirjam erschauerte. Der Ewige verbat, auch nur einen Tropfen Blut zu verzehren. Nicht von einem Tier, und schon gar nicht von einem Menschen. Blut – das Sinnbild des Lebens und der Seele.
Plötzlich stieß Max ihn von sich. Der Kerl taumelte in die Sonne und sackte auf den Boden. Auf seinem blassen Gesicht bildeten sich Flecken. Er spuckte rötlichen Speichel aus, steckte sich zwei Finger in den Mund und würgte.
„Kether.“
Dunkel und hohl kam Max’ Stimme von allen Seiten gleichzeitig. Hebräisch? Er sprach hebräisch? Sie zog die Beine an und klammerte sich an ihre zerrissene Bluse. Angst überkam sie. Angst vor ihrem Retter.
Die roten Flecken auf dem Gesicht des Kerls fraßen sich in seine Haut. Auf der Stirn und über die Nase entfalteten sie sich wie Schmetterlingsflügel, an den Rändern pellten sich weiße Schuppen ab.
Max wirkte größer als sonst, fast gewaltig, die blutverschmierte Hand nach seinem Opfer ausgestreckt. Hinter ihm erschien der Schatten undurchdringlich schwarz und darin bewegte sich etwas.
„Chochmah.“
Der Typ würgte. In einem Krampf spie er senfgelbe Flüssigkeit mit Bröckchen von Pommes und Curry-Wurst aus. Sein Körper zitterte, er hechelte und kroch auf allen Vieren über sein Erbrochenes fort, zum Ausgang auf die Straße.
„Binah.“
Der Kerl brach zusammen. Er krümmte sich am Boden, keuchte, versuchte sein Gesicht und die Hände zu verstecken, als würden ihn die Sonnenstrahlen nieder-brennen. Seine Lippen trockneten in Sekundenschnelle aus, in den Mundwinkeln bildeten sich Entzündungen mit verkrusteten Wunden. Er wandte sein entstelltes Gesicht Mirjam zu.
„Macht’s … Spaß, mich zu quälen?“, krächzte er. „Du Miststück …“
Mirjam wimmerte. Warum sah der Typ sie an? Sie tat doch nichts! Und gleich-zeitig fuhr der Gedanke durch ihren Kopf: Hast du es dir nicht gerade gewünscht? Obwohl der Schmerz beinahe die Kontrolle über seine Mimik übernommen hatte, fand der Mann dennoch Kraft Mirjam anzulächeln.
„Genau so wird er alle vernichten. Alle.“ Die Wunden auf seinen Lippen rissen und Blutstropfen sickerten hervor. „Ich sehe ihn … auf die Toten zu seinen Füßen herabblicken … er ist der …“
„Tifereth.“
Der nächste Krampf warf ihn auf den Rücken. Er biss sich auf die Lippe, hob zittrig die Hand und zeigte Max den Mittelfinger.
„Ah, fick dich!“
Seine Fingerkuppe war wie von einer Säure verätzt, der Nagel blätterte ab. Was passierte da? Mirjam rollte sich zu einem Fötus zusammen. Sie fror, ihre Zähne klapperten aneinander. „Max, hör auf. Bitte.“
Das Rauschen der Folie im Wind wurde immer wütender und Mirjam begriff, dass nichts auf dieser Welt ihn aufhalten konnte. Du hast es so gewollt, pochte es in ihrem Kopf, im Staub sollten sie sich winden und um Gnade flehen.
Der Kerl kreischte. An seinen Gelenken, um jeden Finger, blähte sich das Gewebe auf. Er warf sich hin und her und schrie, ohne es bezwingen zu können.
„Hod.“
Mirjam schluchzte
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