Staub zu Staub
dem Tempelaufbau. Maxi? Du solltest deine Geige in die Ecke pfeffern und schleunigst Architektur studieren.“
„Schluss jetzt. Ich bin kein Jesus. Ich liebe nicht alle Menschen grenzenlos und ohne Sünde bin ich auch nicht. Vor ein paar Tagen ist wegen mir sogar jemand gestorben.“
Kristin zuckte mit den Schultern. „Und? Ich bin nicht bibelfest, aber wenn ich so an das Alte Testament denke, Mama Mia! Da gab es nur Mord und Totschlag. Okay, nicht durch dich, aber so gesehen durch deinen Papa.“
„Hört endlich auf damit!“, brüllte Max und schlug mit der Faust gegen einen Stuhl. Dieser krachte auf den Boden und eine Leiste sprang aus der Rückenlehne. „Ich …“ Er rieb sich die Stirn. „Ich brauche frische Luft.“
Er stürmte aus dem Zimmer. Kurz darauf schlug die Eingangstür zu.
Helmut faltete die Hände. „Er wird sich erinnern. Schon sehr bald, schließlich hat er eine Bestimmung zu erfüllen.“
„Und dass er nach Ihrem bescheuerten Glaube die Apokalypse bringt, stört Sie nicht?“, stichelte Mirjam.
Ein Lächeln huschte über seine Lippen. „
Beim Herrn finde ich Zuflucht. Wie könnt ihr mir sagen: ‚In die Berge flieh wie ein Vogel’? Denn der Herr liebt gerechte Taten; wer rechtschaffen ist, darf sein Angesicht schauen
. Niemals werde ich meinen Herrn verraten.“
„Ah ja. Das ist eine gute Einstellung. Sehr positiv.“
„Ich habe alles getan, um ihn zu beschützen. Seine Güte ist groß, er wird mir in meiner Not helfen.“
„Okay, mir reicht’s.“ Mirjam ging aus dem Zimmer. Im Hof sah sie sich um, doch Max war nirgends zu entdecken. Wo war er? Sie schlenderte um die Scheune, an einem grünen Traktor vorbei und bog hinter dem Haus ein.
Er saß am Rand eines Rapsfeldes und starrte in die Sonne ohne zu blinzeln. Mirjam blieb neben ihm stehen, wartete kurz und setzte sich schließlich zu ihm.
„Erinnerst du dich an sie?“ Mirjam musterte das Foto in seiner Hand. Mit einem Löwenzahnkränzchen sah seine Mutter so unschuldig aus. Niemals hätte sie geglaubt, diese Frau sei eine Prostituierte.
„Vor einem halben Jahr hat sie noch gelebt.“ Er holte Traubenzucker aus der Tasche und knabberte an dem Plättchen. „Mirjam, vor einem halben Jahr war ich schon in Hamburg! Sie brauchte meine Hilfe und ich … ich habe die ganze Zeit gedacht, sie hätte mich ausgesetzt, weil sie mich nicht mehr wollte.“ Er schluckte. „Es tut verdammt weh. Im Moment weiß ich gar nicht, wie ich mit meiner Schuld weiterleben soll.“
„Jetzt mach bloß keine Dummheiten.“
„Keine Sorge, ich gehe nicht in den nächsten Laden, um mir einen Strick zu kaufen. Es ist nur … mit einem Schlag ist alles zusammengebrochen, was ich aufgebaut habe, und mir bleiben bloß Trümmer zurück.“
Mirjam legte ihren Arm um ihn. „Du hast es im Leben so weit gebracht, das kann dir keiner nehmen.“ Sie befürchtete, er würde sich ihrer Umarmung entziehen. Aber das tat er nicht. Er bettete seinen Kopf an ihre Schulter.
„Ich weiß. Aber das ist nichts, was einen Menschen wirklich ausmacht.“
Sie streichelte sein Haar und beobachtete, wie die Sonne sich zu den Baum-kronen neigte. „Dieser Friedmann und seine Leute, sie machen mir Angst.“
Seine Hand legte sich um ihre Taille. „Wir werden das überstehen. Es wird alles gut.“
„Was willst du tun?“
„Ich weiß es noch nicht. Aber irgendjemand muss sie aufhalten.“ Sein Blick schweifte zum Foto. „Zumindest das bin ich meiner Mutter schuldig. Lässt du mich noch ein wenig allein?“ Aus der Tasche zog er den Autoschlüssel und drückte ihn ihr in die Hand. „Es dauert nicht lange, wir fahren gleich.“
Max hörte, wie Mirjams Schritte sich entfernten und blickte zum Wald. Der sanfte Wind umspielte sein Gesicht. Fast glaubte er die Stimme seiner Mutter zu hören: ‚Vom Perihel verstehe ich nichts, aber dein Hemd hast du falsch zugeknöpft’. Er klammerte sich an diese Erinnerung und spürte ihre Hände, die ihn in die Höhe hoben und herumwirbelten. ‚Komm, ich kauf dir ein Zitroneneis. Mit Sahne und bunten Streuseln. Weil du so brav auf mich gewartet hast.’ – ‚Mama, ich brauche kein Eis.’ Er wusste, wie kostbar jeder Pfennig war und was sie dafür über sich ergehen lassen musste. Ihr Lachen perlte auf ihn herab. ‚Schluss mit der Widerrede!’ Sie knuddelte ihn und gab ihm einen Schmatzer auf die Nase. ‚Brave Kinder bekommen ein Eis. Du kriegst so selten eins, weil ich nicht will, dass du zu einem Moppel wirst. Das ist
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