Staub zu Staub
keuchte.
„G’nifloweyno … elach.“ Aus seinem Mundwinkel sickerte Blut und rann ihm über die Wange. Ein Schweißfilm bedeckte seine bleiche Haut, die Lippen nahmen einen bläulichen Ton an.
„Mist. Er kriegt nicht genug Luft.“ Der Typ wischte sich über die Stirn. Die blutgetränkten Finger hinterließen verschmierte Spuren auf seiner Haut. Aus dem Augenwinkel sah Mirjam, wie er endlich das Handy fand und 112 eintippte.
Max drückte leicht ihre Hand und suchte ihren Blick wie einen Faden, der ihn in dieser Welt festhalten sollte. „Lo … fish gabi …“
„Max, ich kann dich nicht verstehen. In welcher Sprache redest du? Was willst du mir sagen?“ Ihre Nase lief und sie musste ununterbrochen schluchzen, während die Angst sie wie ein Eiszapfen durchschlug. Was, wenn er starb?
„Maria …“ Nur an der Bewegung seiner Lippen erkannte sie das Wort.
Seine Hand erschlaffte in ihrer. „Max?“ Mirjam erschrak. Sein Blick starrte durch sie hindurch. Tot. Kalt.
Etwas schraubte ihre Brust zusammen, raubte ihr Luft und Verstand. Durch Tränen sah sie kaum noch etwas, fühlte sich wie betäubt und nur ein brennender Punkt in ihrem Inneren bohrte sich immer tiefer in sie.
„Nein! Bitte geh nicht.“ Sie hob seinen Oberkörper an, wog ihn in den Armen und drückte seinen Kopf an ihre Brust. Sein Blut durchtränkte ihre Strickjacke. „Ich liebe dich. Hörst du, ich liebe dich. Ich will dich nicht verlieren.“
„Er ist … tot.“
„Nein!“, schrie sie in den Himmel, wo die schwarzen Krähen ungewöhnlich stumm über ihr kreisten. „Gib ihn wieder her, ich will ihn zurück!“, rief sie, ohne recht zu wissen, wen sie eigentlich anbrüllte. „Gib ihn wieder her, hörst du?“
Ihre Kehle fühlte sich wund an. Während sie Max noch immer in den Armen hielt, sank sie mit ihm zu Boden. Ihr Weinen ging in Krämpfe über. Von der Straße hörte sie das Geräusch eines Motors und Reifen, die durch Pfützen schmatzten.
„Sie sind da.“ Der Mörder rüttelte Mirjam am Ärmel. „Wir müssen weg. Schnell.“
„Ich will ihn zurück“, stammelte sie wie ein Gebet. „Gib ihn mir zurück. Bitte.“
„Sie werden dich töten!“ Die fremden Finger krallten sich in ihren Arm, taten ihr weh.
Sie umklammerte Max noch fester und vergrub ihr Gesicht in seiner Schulter. Niemals würde sie ihn verlassen. Niemals.
Der Kerl riss sie von Max fort. Mirjam wollte aufschreien, aber seine Hand legte sich auf ihren Mund und erstickte jeglichen Laut.
„Halt die Klappe, verflucht noch mal!“ Er stieß sie von sich, zog seine Jacke an und steckte die Pistole hinter den Gürtel. Mirjam kniete sich wieder vor Max, doch der Typ zerrte sie hoch. „Komm jetzt. Und wenn du schreist, schlage ich dich bewusstlos. Klar?“
Er riss sie herum und schleppte sie durch das Feld zum nahen Wald. Ihre Füße versanken in der Erde. Sie stolperte in den Furchen und blickte immer wieder zu der Stelle, wo die Krähen kreisten. Waren es nicht die Vögel des Todes?
Der Kerl schlängelte sich mit ihr zwischen den Bäumen und Büschen hindurch. So oft sie konnte, blickte Mirjam zurück, doch schon bald verlor sie die Stelle aus den Augen. Zweige peitschten ihr ins Gesicht und zerrten an ihrer Kleidung.
„Lass mich endlich los!“ Sie trommelte mit der freien Faust gegen seinen Rücken. Unbeeindruckt pflügte er weiter durch den Wald.
Mirjam stolperte über eine Wurzel und fiel auf die Knie.
„Steh auf!“ Der Typ zerrte an ihrem Arm.
Sie senkte den Kopf. Ihre Haare, in denen sich Blätter verheddert hatten, rutschten ihr vor das Gesicht, doch auch darunter sprühte ihr Hass hervor wie ein Flammenwerfer:
„Verschwinde. Lass mich in Ruhe!“
Er versuchte sie hochzuziehen. „Wir müssen weiter. Du weißt gar nicht, in was für eine Scheiße du dich reingeritten hast! Die da werden nicht aufhören, bis sie alle beseitigt haben, die von Jonathan wissen.“
Ihr Blick haftete sich an seinen Hals, wo der Adamsapfel bei jedem Schlucken hoch und runter rutschte. Sie krallte ihre Finger in das Moos und stellte sich vor, es wäre seine Kehle. Erwürgen würde sie ihn, mit bloßen Händen. Mirjam wischte sich über die Wangen. Sie sah die Pistole, die unter der Motorradjacke hervorlugte. Ob sie an die Waffe gelangen könnte? Der Gedanke, wie die Kugel das verhasste Gesicht vor ihren Augen zerfetzen würde, verzog ihre Lippen zu einem Lächeln. Sie musste nur an die Waffe kommen. Das Magma ihrer Emotionen legte sich, der Kopf wurde klarer,
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