Staub
weil es unerträglich ist. Und während er versucht, die Wahrheit zu sagen, kann er nur daran denken, dass die Phantasie nun für immer sterben wird. Sie wird wissen, was in ihm vorgeht, und dann wird es niemals geschehen. Von diesem Moment an wird es zwecklos sein, dass er sich auch nur die entferntesten Hoffnungen macht, denn sie hat jetzt eine Vorstellung davon, wie es mit ihm sein könnte.
»Es ist wichtig, Marino«, meint sie leise. »Erzähl mir von dem Spiel.«
Er schluckt und glaubt zu spüren, wie die Tabletten tief in seiner Kehle brennen. Obwohl er gern noch ein wenig Tee hätte, schafft er es nicht, sich zu rühren, und er kann den Gedanken nicht ertragen, sie um Tee oder sonst etwas zu bitten. Sie sitzt kerzengerade, aber nicht steif, im Sessel. Ihre kräftigen, tüchtigen Hände ruhen auf den Armlehnen. In ihrem mit Schlamm bespritzten Anzug wirkt sie aufrecht, aber entspannt, und sie hört ihm mit aufmerksamem Blick zu.
»Sie wollte, dass ich sie jage«, beginnt er. »Ich habe getrunken. Und ich habe sie gefragt, was sie mit jagen meint. Sie antwortete, ich sollte ins Schlafzimmer gehen, mich hinter der Tür verstecken und auf die Uhr schauen. Ich sollte fünf Minuten, genau fünf Minuten, warten und dann anfangen, sie zu suchen, wie … so als ob ich sie umbringen wollte. Ich habe widersprochen, dass ich das nicht in Ordnung fände … Tja, so richtig laut gesagt habe ich es eigentlich nicht.« Er holt noch einmal tief Luft. »Wahrscheinlich deshalb nicht, weil sie mich so angemacht hat.«
»Wie spät war es inzwischen?«
»Ich war seit etwa einer Stunde dort.«
»Sie hat dir die Hände in die Hosentaschen gesteckt, sobald du gegen halb elf zur Tür hereinspaziert bist, und dann vergeht eine Stunde? In dieser Stunde ist nichts weiter passiert?«
»Wir haben getrunken. Im Wohnzimmer auf dem Sofa.« Er weicht ihrem Blick aus. Nie wieder wird er ihr in die Augen schauen können.
»War das Licht an? Waren die Vorhänge zu oder offen?« »Sie hatte Feuer im Kamin angezündet. Das Licht war aus. Ich weiß nicht mehr, ob die Vorhänge offen waren.« Er überlegt. »Sie waren zu.«
»Was habt ihr auf dem Sofa getan?«
»Geredet. Und vermutlich auch rumgeknutscht.«
»Vermutungen bringen uns nicht weiter. Außerdem habe ich keine Ahnung, was du mit ›Rumknutschen‹ meinst«, gibt Scarpetta zurück. »Küssen, Streicheln? Habt ihr euch ausgezogen? Hattet ihr Geschlechtsverkehr? Oralsex?«
Er spürt, wie er errötet. »Nein. Das heißt, der erste Teil stimmt. Wir haben uns hauptsächlich geküsst. Du weißt doch, was Knutschen ist. Was die Leute eben so tun. Knutschen. Wir saßen auf dem Sofa und haben über das Spiel geredet.« Sein Gesicht glüht. Da ihm klar ist, dass sie das sehen kann, bleibt sein Kopf gesenkt. Das Licht war aus, und der Schein des Feuers glitt über ihre bleiche Haut. Als sie ihn packte, tat es weh und erregte ihn. Dann tat es nur noch weh. Er bat sie, zartfühlender zu sein, aber sie lachte nur und erwiderte, sie würde gern hart rangenommen, und zwar richtig. Ob er sie beißen könnte? Er sagte nein, er wollte sie nicht beißen, jedenfalls nicht fest. Es wird dir gefallen, versprach sie. Es wird dir gefallen zuzubeißen. Du weißt nicht, was du verpasst, wenn du noch nie eine Frau hart rangenommen hast. Und während sie redete, spiegelte sich der Schein des Feuers auf ihrer Haut. Er versuchte, die Zunge in ihrem Mund zu behalten und sie zu befriedigen. Gleichzeitig verschränkte er die Beine und nahm eine Haltung ein, in der sie ihm nicht wehtun konnte. Sei doch nicht so ein Jammerlappen, wiederholte sie, als sie ihn aufs Sofa stoßen und seinen Reißverschluss aufzerren wollte. Aber es gelang ihm, sie abzuwehren. Dabei dachte er an ihre Zähne, die im Schein des Feuers weiß funkelten, und daran, wie es sich anfühlen würde, wenn sie diese weißen Zähne in ihn schlug.
»Das Spiel fing also auf dem Sofa an?«, fragt Scarpetta, die weit weg in ihrem Sessel sitzt.
»Dort haben wir darüber gesprochen. Dann bin ich aufgestanden, und sie hat mich ins Schlafzimmer geführt und mir gesagt, ich sollte fünf Minuten hinter der Tür warten, wie ich dir schon erzählt habe.«
»Hast du weitergetrunken?«
»Ich glaube, sie hat mir noch ein Glas eingeschenkt.«
»Du sollst nicht glauben. Große Gläser? Kleine Gläser? Wie viele waren es inzwischen?«
»Diese Frau hält sich nicht mit Kleinigkeiten auf. Große Gläser. Als sie mich hinter die Tür geschickt hat, waren es schon
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