Staub
mindestens drei. Ab jetzt wird es ziemlich verschwommen«, antwortet er. »Nachdem das Spiel losgegangen war, kann ich mich nicht mehr richtig erinnern. Vielleicht ist das sogar gut so.«
»Das ist ganz und gar nicht gut. Versuch es. Wir müssen herausfinden, was passiert ist. Das Was . Nicht das Warum . Das Warum interessiert mich nicht, Marino. Vertrau mir. Du kannst mir nichts Neues erzählen. Ich bin nicht so leicht zu schockieren.«
»Nein, Doc, da bin ich mir sicher. Aber vielleicht ist das bei mir anders. Eigentlich dachte ich das nicht, aber es könnte so sein. Ich weiß noch, wie ich auf die Uhr geschaut habe und echt Schwierigkeiten hatte, die Zeit abzulesen. Meine Augen sind sowieso nicht mehr das, was sie einmal waren, und ich habe alles verschwommen gesehen. Außerdem war ich aufgekratzt, total aufgekratzt, und zwar auf eine unangenehme Weise. Um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung, warum ich mitgemacht habe.«
Der Schweiß brach ihm aus, als er hinter der Tür stand und versuchte, die Zeit abzulesen. Dann begann er, lautlos bis sechzig zu zählen, kam aber aus dem Takt und fing wieder von vorne an, bis er sicher war, dass die fünf Minuten abgelaufen waren. Seine Erregung war, soweit er sich erinnerte, nicht mit dem zu vergleichen, was er je für eine Frau oder überhaupt bei einer Begegnung mit dem anderen Geschlecht empfunden hatte. Als er hinter der Tür hervorkam, bemerkte er, dass das ganze Haus in Dunkelheit lag. Er konnte die Hand nicht vor Augen sehen, außer er hielt sie sich dicht vors Gesicht. Während er sich die Wände entlangtastete, wurde ihm klar, dass sie ihn hören konnte. Und in diesem Moment erkannte er trotz seines betrunkenen Zustandes, dass sein Herz klopfte und dass sein Atem schwer ging, weil er erregt war und Angst hatte. Doch er möchte nicht, dass Scarpetta von seiner Angst erfährt. Dann streckte er die Hand nach seinem Knöchel aus, verlor das Gleichgewicht und fand sich auf dem Fußboden im Flur wieder, wo er nach seiner Pistole suchte. Aber die Pistole steckte nicht im Halfter. Er weiß nicht, wie lange er dort gesessen hat. Es ist sogar möglich, dass er kurz eingeschlafen ist.
Als er wieder auf dem Dielenboden zu sich kam, hatte er seine Pistole immer noch nicht, und das Herz schlug ihm bis zum Halse. Er rührte sich nicht und wagte kaum, Atem zu holen. Der Schweiß lief ihm ins Gesicht, während er lauschte und zu hören versuchte, wo der Mistkerl steckte. Die Dunkelheit war undurchdringlich, schwer und erstickend und legte sich wie ein schwarzes Tuch um ihn, als er sich so lautlos wie möglich aufrappelte, um seine Position nicht zu verraten. Irgendwo war der Dreckskerl, und Marino hatte keine Waffe. Die Arme ausgestreckt wie Ruder, berührte er kaum die Wände, als er weiterschlich und die Ohren spitzte, sprungbereit und wohl wissend, dass er erschossen werden würde, wenn er das Drecksschwein nicht zuvor überraschte.
Langsam wie eine Katze schlich er weiter, alle Sinne auf den Feind gerichtet. Dabei kam ihm immer wieder die Frage in den Sinn, wie er überhaupt in dieses Haus geraten war. Was war das eigentlich für ein Haus und wo zum Teufel steckte die Verstärkung? Wo, verdammt noch mal, blieben denn bloß die anderen? O mein Gott, vielleicht hatte es sie ja erwischt. Vielleicht war er der letzte Überlebende und würde nun ebenfalls dran glauben müssen, weil er unbewaffnet war und auch sein Funkgerät verloren hatte. Außerdem wusste er nicht, wo er war. Und dann spürte er einen Schlag und wurde von der pulsierenden Dunkelheit aufgesogen, einer Dunkelheit, die ihm bei jeder Bewegung den Atem raubte. Im nächsten Moment kam ein Schmerz, ein brennender Schmerz, als sich die Dunkelheit regte und, begleitet von schrecklichen schmatzenden Geräuschen, nach ihm griff.
»Ich weiß nicht, was passiert ist«, hört er sich sagen, und es erstaunt ihn, dass seine Stimme so normal klingt, weil er sich innerlich fühlt, als hätte er den Verstand verloren. »Ich habe keine Ahnung. Ich bin in ihrem Bett aufgewacht.«
»Angezogen?«
»Nein.«
»Wo waren deine Kleider und deine Sachen?«
»Auf einem Sessel.«
»Auf einem Sessel? Ordentlich hingelegt?«
»Ja, ziemlich. Meine Kleider lagen dort, und obendrauf war meine Pistole. Ich habe mich im Bett aufgesetzt, aber es war niemand da«, antwortet er.
»War ihre Seite des Bettes zerwühlt? Sah sie aus, als hätte jemand darin geschlafen?«
»Die Decke war runtergezogen und total verdreht. Doch es war niemand da.
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