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Staub

Staub

Titel: Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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pflegte Burke sich ein schwaches Opfer auszusuchen, für gewöhnlich einen alten Menschen, ein Kind oder einen Kranken, sich auf die Brust des Betreffenden zu setzen und ihm gleichzeitig Mund und Nase zuzuhalten.«
    »Und ist das auch mit dem armen Mädchen passiert?«, fragt Dr. Philpott, und tiefe, bedrückte Falten zeigen sich auf seinem Gesicht. »Ist es das, was er ihm angetan hat?«
    »Wie Ihnen sicher bekannt ist, stellt man häufig eine Diagnose auf der Basis dessen, dass es keine gibt. Ein Ausschlussverfahren sozusagen«, entgegnet Scarpetta. »Bei ihr wurde nichts weiter als frische Blutergüsse festgestellt, die durchaus darauf hinweisen, dass jemand auf ihrer Brust saß und die Hände festhielt. Außerdem hatte sie Nasenbluten.« Viel mehr möchte sie nicht sagen. »Natürlich ist das streng vertraulich.«
    »Ich habe keine Ahnung, wo er stecken könnte«, sagt Dr. Philpott mit finsterer Miene. »Falls er aus irgendeinem Grund anruft, verständige ich Sie sofort.«
    »Ich gebe Ihnen die Nummer von Pete Marino.« Sie schreibt sie auf.
    »Edgar Allan gehört wie gesagt nicht zu den Menschen, die ich gut kenne. Offen gestanden war er mir nie sehr sympathisch. Er ist seltsam und kam mir unheimlich vor. Als seine Mutter noch lebte, begleitete sie ihn stets zu den Terminen, auch dann noch, als er bereits ein erwachsener Mann war, bis kurz vor ihrem Tod.«
    »Woran ist sie gestorben?«
    »Wenn Sie mich so direkt fragen, fand ich die Umstände ihres Todes ein bisschen merkwürdig«, sagt er bedrückt. »Sie war fettsüchtig und lebte ausgesprochen ungesund. Eines Winters erkrankte sie an der Grippe und starb zu Hause. Damals erschien mir das nicht weiter verdächtig. Inzwischen habe ich so meine Zweifel.«
    »Darf ich mir seine Akte ansehen? Und auch ihre, falls Sie die noch haben?«, erkundigt sich Scarpetta.
    »Ihre habe ich nicht griffbereit, weil sie schon so lange tot ist. Aber in seine können Sie einen Blick werfen. Warten Sie hier, ich hole sie. Sie liegt auf meinem Schreibtisch.« Als er aufsteht und die Küche verlässt, wirken seine Bewegungen langsamer als zuvor, und er macht einen erschöpften Eindruck.
    Scarpetta schaut aus dem Fenster und beobachtet, wie ein blauer Eichelhäher ein Vogelhäuschen plündert, das am kahlen Ast einer Eiche hängt. Er wirkt wie ein blau gefiedertes Wutbündel, und das Vogelfutter fliegt in alle Richtungen, als er sich darüber hermacht, bis er sich schließlich mit einem Schwirren seiner blauen Schwingen abstößt und verschwindet. Edgar Allan Pogue könnte ungeschoren davonkommen. Fingerabdrücke beweisen nicht viel, und man wird Art und Ursache der Todesfälle in Zweifel ziehen. Unmöglich zu sagen, wie viele Menschen er auf dem Gewissen hat. Und sie muss sich jetzt darüber Gedanken machen, was er getrieben hat, als er noch für sie tätig war. Was hat er in den unterirdischen Räumen angestellt? Sie sieht ihn in seinem Arbeitsanzug vor sich. Damals war er blass und mager. Sie weiß noch, wie sich sein bleiches Gesicht ihr zuwandte und er ihr verstohlene Blicke zuwarf, wenn sie aus dem grässlichen Lastenaufzug stieg, um sich mit Dave zu unterhalten. Der konnte Edgar Allan nicht leiden und hat sicher keine Ahnung, wo er stecken mag.
    Wegen der bedrückenden Atmosphäre dort unten ist Scarpetta so selten wie möglich in die Anatomie gegangen. Außerdem bekam die Abteilung so geringe staatliche Mittel und derart wenig Geld von den Universitäten, die die Leichen anforderten, dass für die Würde der Toten nicht mehr viel getan werden konnte. Das Krematorium war ständig defekt. In einer Ecke lehnten Baseballschläger, denn wenn die Verbrennungsreste aus dem Ofen genommen wurden, mussten einige Knochenfragmente zerschmettert werden, damit sie in die billigen, vom Staat gestellten Urnen passten. Eine Mühle wäre zu teuer gewesen, während ein Baseballschläger sich großartig dazu eignet, Knochenstücke in handliche Teile oder in Pulver zu verwandeln. Scarpetta möchte nicht daran denken, was dort unten vor sich ging. Sie ließ sich in dieser Abteilung nur blicken, wenn es nicht anders ging, und machte einen großen Bogen um das Krematorium, um die Baseballschläger nicht sehen zu müssen.
    Ich hätte eine Mühle kaufen sollen, denkt sie, als sie dasitzt und das leere Vogelhäuschen betrachtet. Ich hätte eine von meinem eigenen Geld anschaffen müssen. Die Baseballschläger hätte ich nie erlauben dürfen. Inzwischen würde ich sie verbieten.
    »Hier«, sagt Dr.

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