Staub
das blonde Haar aus dem Gesicht schiebt, zittert ihre Hand. »Ich klemmte zwischen den Felsen fest … Ich konnte mich nicht bewegen, ich konnte nicht atmen. Und ich konnte nicht raus. Niemand hat es geschafft, mich zu befreien. Beim Duschen ist mir der Traum wieder eingefallen. Das Wasser schlug mir ins Gesicht, und als ich die Luft angehalten habe, habe ich mich an den Traum erinnert.«
»Hat jemand versucht, dich rauszuholen?« Benton geht nicht auf ihre Angst ein und fällt auch kein Urteil darüber, ob sie echt oder nur gespielt ist. Er kann es nicht sagen. Es gibt so vieles, was er an ihr nicht versteht.
»Du hast gerade erzählt, niemand hätte es geschafft, dich zu befreien«, sagt Benton im gelassenen Ton des Therapeuten. »War denn noch jemand da? Vielleicht mehrere Leute?«
»Ich weiß nicht.«
Er wartet.
»Ich erinnere mich nicht. Keine Ahnung, warum, aber einen Moment lang habe ich geglaubt, dass jemand … es ist mir eingefallen, in meinem Traum, dass jemand die Felsen vielleicht weghacken könnte. Und dann dachte ich, nein. Das Gestein ist viel zu hart. Niemand schafft das. Ich werde sterben. Ich wusste, dass ich sterben würde. Und dann hielt ich es nicht mehr aus, und der Traum war zu Ende.« Ihre verworrene Schilderung endet so schlagartig, wie es vermutlich auch bei dem Traum der Fall war. Henri holt tief Luft, und ihre Verkrampfung lockert sich. Ihr Blick richtet sich auf Benton. »Es war schrecklich.«
»Ja«, erwidert er. »Es muss entsetzlich gewesen sein. Ich kann mir nichts Beängstigenderes vorstellen, als keine Luft mehr zu bekommen.«
Sie legt die flache Hand aufs Herz. »Meine Brust konnte sich nicht bewegen. Ich habe keine Luft mehr gekriegt.«
Möglicherweise hat der Angreifer versucht, sie zu ersticken oder zu erwürgen. Benton stellt sich die Fotos vor und hält in Gedanken eines nach dem anderen hoch, um Henris Verletzungen in Augenschein zu nehmen und zu verstehen, was sie gerade gesagt hat. Er sieht Blut, das ihr aus der Nase läuft, auf ihren Wangen verschmiert ist und das Laken unter ihrem Kopf befleckt, als sie bäuchlings auf dem Bett liegt. Ihr Körper ist nackt und nicht zugedeckt; die Arme sind, mit den Handflächen nach unten, über den Kopf gestreckt, die Beine gebeugt, eines mehr als das andere.
Gerade ruft sich Benton ein anderes Foto ins Gedächtnis, als Henri aus ihrem Sessel aufsteht. Sie murmelt, dass sie sich einen Kaffee holen will. Benton hört ihre Ankündigung und denkt an die Pistole, die sich im Küchenschrank befindet. Allerdings weiß sie nicht, in welchem, weil sie ihm den Rücken zugekehrt hat, als er die Waffe verschwinden ließ. Er beobachtet sie und interpretiert, was sie tut, während er gleichzeitig die Hieroglyphen ihrer Verletzungen und der seltsamen Spuren auf ihrem Körper zu deuten versucht. Ihre Handrücken waren rot, weil er oder sie – Benton hat sich, was den Täter angeht, noch nicht auf ein Geschlecht festgelegt – sie gequetscht hat. Es befanden sich dort frische Blutergüsse, und sie hatte auch einige gerötete Stellen oben am Rücken. In den Tagen danach verfärbten sich die Rötungen, die von geplatzten subkutanen Blutgefäßen herrührten, in ein kräftiges Violett.
Benton sieht zu, wie Henri sich Kaffee eingießt. Er denkt an die Fotos ihres besinnungslosen Körpers am Tatort. Dass dieser Körper schön ist, ist für Benton nur insofern von Bedeutung, als dass alles an ihrem Aussehen und Verhalten die gewalttätige Reaktion des Menschen, der sie töten wollte, ausgelöst haben könnte. Henri ist schlank, aber ganz eindeutig nicht androgyn. Sie hat Brüste und Schamhaare und wäre für einen Pädophilen ganz sicher nicht anziehend. Zur Zeit des Überfalls hatte sie eine sexuelle Beziehung.
Er beobachtet, wie sie, beide Hände um die Kaffeetasse gelegt, zum Ledersessel zurückkehrt. Ihre Rücksichtslosigkeit stört ihn nicht, auch wenn ein höflicher Mensch wahrscheinlich gefragt hätte, ob er vielleicht auch noch einen Kaffee möchte. Aber Henri ist vermutlich die egoistischste und gefühlloseste Person, die Benton je begegnet ist. Sie war schon vor dem Überfall so und wird es immer bleiben. Es wäre wünschenswert, wenn sie sich in Zukunft von Lucy fern hielte. Doch er hat, wie er sich sagt, nicht das Recht, das zu verlangen.
»Henri«, sagt Benton. Er steht auf und holt sich selbst einen Kaffee. »Fühlst du dich heute Morgen in der Lage, die Fakten durchzugehen?«
»Ja. Aber ich kann mich nicht erinnern.« Ihre
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