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Stauffenbergs Gefaehrten

Titel: Stauffenbergs Gefaehrten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Vollmer , Lars-Broder Keil
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schwimmen in einem Gefühl von Gefahr, das aber doch durch die Mutter und deren Schwester abgemildert wird. Jetzt aber kracht es trommelfellzerfetzend. Die Kinder sollen die Ohren zuhalten und den Mund aufreißen. Ihr Treckwagen steht unmittelbar unter einer 8,8-cm-Flak, die sich mit Sowjet-Panzern ein Feuergefecht liefert. Über den Rücken und die Köpfe der Pferde hinweg sieht Georg das angespannte Gesicht seiner Mutter. Sie trägt ein Kopftuch, wie es nach dem Krieg die Trümmerfrauen tragen, und eine helle Windjacke. Sie krallt sich an den Pferden vor dem Treckwagen fest, die gar nicht anders können, als auszubrechen. Die Mutter hat einen Ausdruck im Gesicht, als wolle sie allein mit ihrer Kraft das Weltall abstützen, weniger Verzweiflung als Aufruhr, nur noch reine übermenschliche Energie.
    Eigentlich sollte die Flucht zusammen mit der ganzen Familie aus Semerow erfolgen. Der Großvater hatte Ende 1944 alles gemeinsam mit dem Dorf sorgfältig vorbereitet. Aber noch hatten die NS -Behörden Treckverbot verhängt. Da nach der Verhaftung Schulze-Büttgers die Gestapo auf dem Gut gewesen war, war es schwer, heimlich loszuziehen. Da kommen Verwandte auf ihrem Treck vorbei, bei denen ein Wagen ausgefallen ist. Kurz entschlossen befiehlt Großvater Neumann, dass Jutta mit den Kindern bei Nacht unauffällig in den Zug eingegliedert wird. Er wird mit den anderen so bald wie möglich nachkommen.
    Wenige Wochen später – mit unverhofftem Glück hat Juttas Wagen die Oder als Letzter überqueren können – überholt sie ein Reiter, ein Bekannter der Familie, der eine tödliche Nachricht mitbringt: Als in Semerow endlich die Erlaubnis zum Trecken kam, standen die Russen bereits vor dem Dorf; deutsche Soldaten, vermutlich SS , aber waren im Schatten der Nacht mit den Pferden für den Wagen der Neumanns verschwunden. Der Großvater hat erst die Tochter, die Lieblingstante der Kinder, dann seine Frau und zuletzt sich selbst erschossen. Er sah keine Zukunft mehr. Die Familie schien ausgelöscht.
    Das alles hat Georg im Gesicht seiner Mutter gesehen. Am Ende aller Flucht und aller überstandenen Gefahren, als sie nach sieben Monaten schließlich in Hildesheim gelandet sind, stirbt »Juttali«, die kleine Schwester, an Diphtherie und Scharlach. In anderen Zeiten wäre sie zu retten gewesen. Jutta Schulze-Büttger hat damit in neun Monaten ihren Mann, ihre Eltern, eine Schwester und dazu noch eine Tochter verloren. Sie ist dreißig Jahre alt und steht nun allein auf der Welt mit ihren beiden Söhnen.
    Nach der Verhaftung ihres Mannes am 20. August 1944 war sie von der Gestapo in Semerow aufgesucht und verhört worden. Noch in dem Moment, da sich diese dem Gut näherte, hatte sie, von Nachbarn gewarnt, fast alle Briefe und Dokumente ihres Mannes unbemerkt hinten im Garten vernichten können. Ihre vielfachen Versuche, ihn in der Gestapo-Haft noch einmal zu sehen, bleiben erfolglos. Sie pendelt in diesen Wochen hin und her zwischen der Berliner Prinz-Albrecht-Straße und dem Krankenhaus Köslin/Pommern, wo ihr Sohn Georg nach einer komplizierten Mittelohrentzündung liegt. Später erst erhält sie den Abschiedsbrief ihres Mannes, den einzigen Brief, der ihr bleibt, unmittelbar vor seiner Hinrichtung am 13. Oktober 1944 geschrieben. Das eine Blatt, das erlaubt wird, trägt den Vermerk: »Nur die Linien benutzen! Ränder nicht beschreiben!«
    Â 
    Meine geliebte Jutta!
    Gönne mir den Frieden, in den ich nun für immer eingehen werde. In meinen letzten Minuten danke ich Dir, mein Liebstes, für Deine übergroße Liebe, mit der Du mich 10 Jahre glücklich gemacht hast.
    Trage Dein unendliches Leid, das Du mir verzeihen mögest, groß und stark und verliere nicht den Glauben an unseren Herrgott. Seinen Schutz flehe ich herab auf Dich, unsere Kinderlein, alle Lieben und unser ganzes deutsches Volk.
    Erzieh unsere Kinder zu frohen, freien Menschenkindern. Dazu widme alle Kraft den Lebenden. Möge Dir in dem Aufwachsen und der Liebe der Kleinen ein neues, stilles Glück erblühen. Klopft aber später ein anderer auch wieder an Deine eigene Herzenstür, dann öffne, wenn es echt ist. Ich wollte immer nur Dein Glück.
    Bitte keine Trauerkleider und Anzeigen. Laßt mich in aller Stille von dieser Erde abgeschieden sein …
    Zum letzten Mal lege ich in Gedanken meine Arme um Dich, Du meine geliebte

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