Stauffenbergs Gefaehrten
an der Front gesucht und Schande über die Familie gebracht zu haben. Klausing wiederum, der in seinem Abschiedsbrief an die Familie das Bild der Schande vorwegnimmt, schreibt: »Streicht mich aus Eurem Gedächtnis.« Wie erklären Sie sich diesen Brief?
Für mich ist das völlig unverständlich. Ich kannte Klausing eigentlich ganz gut. Wir waren ja fast vier Jahre zusammen, wenn auch nicht ständig.
Wie haben Sie sich kennengelernt?
Zunächst einmal war er mein Fähnrichs-Vater bei der Ausbildung im I.R. 9 in Potsdam. Er wurde »Bubi« genannt â wegen seines jugendlichen Aussehens und seiner hohen Stimme. Später war er in Russland Kompaniechef (der 9. Kompanie). Wie ich nach Russland kam und mich am Regimentsgefechtsstand meldete, wollte mich Richard von Weizsäcker erst in die 4. Kompanie stecken. Als Adjutant des Regimentskommandeurs »regierte« er eigentlich das Regiment. »Da will ich aber gar nicht hin«, sagte ich zu Weizsäcker, »ich möchte in die 9. Kompanie.« Ich wollte nämlich zu Klausing. Ich bin dann zum Kommandeur. Der meinte zunächst, Weizsäcker habe das bereits entschieden, aber ich kannte den Kommandeur seit 1934 und wusste, wie man ihn überzeugen kann. Dann sagte er: »Gut, gehen Sie zu Weizsäcker und sagen Sie ihm, dass Sie in die 9. Kompanie kommen.«
Sie haben Klausing als tapferen Soldaten, aber auch als jemanden erlebt und beschrieben, der grundsätzlich zweifelte, der es sich bei Entscheidungen niemals leicht machte. Beim Staatsstreich war er dann einer der Aktivsten. Warum aber hat er in seinem Abschiedsbrief das Verhalten von einigen Beteiligten kritisiert?
Das ist ganz erstaunlich.
Vielleicht hat er gemeint, dass ihn die Zögerlichkeit und Hektik der höheren Offiziere am 20. Juli irritierte, als allmählich die Nachricht durchsickerte, Hitler sei noch am Leben?
Ich habe nicht mit ihm darüber gesprochen. Aber das würde sehr zu ihm passen. Dass ihm das missfallen hat. Er war sicherlich nicht von allem angetan, was dort passierte, er wusste, jetzt ging es ums Ganze. Klausing war ein Mann, der nie kneifen wollte, der an sich selbst die höchsten Anforderungen stellte. Er war irgendwie ein Parzival. An ihm war etwas Entschlossenes und auch Tragisches.
Weil er einen besonders schwierigen Weg in den Widerstand hatte aufgrund seiner familiären Situation und dann miterleben musste, wie andere im entscheidenden Augenblick zögerten und versagten?
Ja. Es lief ja auch vieles schief. Schon am Beginn wurde kostbare Zeit verloren, als der »Walküre«-Befehl nicht sofort ausgelöst wurde. Dann wurde viel mit den Wehrkreisen und Einheiten telefoniert. Viele wollten nicht mitmachen oder sich erst bei anderen Vorgesetzten rückversichern. Andere zogen sich im Laufe des Abends wieder zurück. Dann wurde im Bendlerblock das Wachbataillon abkommandiert, wir waren also ohne Schutz. Da entsteht plötzlich eine riesige Hektik. Das Wichtigste aber, was zur Hektik und Ratlosigkeit beigetragen hat, war schlicht die Tatsache: Hitler war nicht tot. Alles war vage. Die Unsicherheit und Zweifel, die wir im Bendlerblock hatten, lähmten natürlich einige von uns, wie die Militärs Erich Hoepner und Erwin von Witzleben oder den Berliner Polizeipräsidenten Wolf-Heinrich Graf von Helldorf. Das wurde im Laufe des Tages immer schlimmer. Stauffenberg hat versucht, die Stimmung umzudrehen, indem er zunächst darauf beharrte, dass Hitler tot sei.
Ich bin am Nachmittag einmal an dem Zimmer von Fromm vorbeigekommen und habe mitgehört, wie er mit Keitel telefonierte, der ihm versicherte, dass Hitler lebt. Ich bin daraufhin sofort zu Stauffenberg gegangen und habe gesagt: »Es gibt Ãrger.« Aber er hat nicht reagiert.
Haben Sie dafür eine Erklärung?
Wissen Sie, während der gesamten Aktion lastete ein Druck auf einem, den man überhaupt nicht messen kann. Und in dem Augenblick, wenn eine Geschichte auf des Messers Schneide balanciert, wird dieser Druck unendlich viel gröÃer. Das kann man sich nicht vorstellen, und das kann niemand beschreiben.
Wo haben Sie sich zur Vorbereitung des Attentats getroffen?
An verschiedenen unauffälligen Orten, zum Beispiel in Neuhardenberg bei Berlin.
Da gab es viele junge Damen?
Die gab es, aber es gab da auch ein Gästebuch, in das wir uns eintragen sollten. Das war damals so üblich. Ich fand das gefährlich. Am 9. Juli 1944 waren
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