Staustufe (German Edition)
der Schnauz etwas an Form verloren. Sogar die rote Fliege saß schief. Er bat Nötzel, sich als Erster zu äußern.
«Wir müssen uns ja nun entscheiden», sagte der Staatsanwalt, «wen wir laufenlassen. Aus meiner Sicht müssen wir den Schriftsteller freilassen, und zwar heute noch. Ich hätte gern gewusst, was die ermittelnden Beamten davon halten.»
Aksoy machte große Augen. «Entschuldigung, Herr Nötzel. Aber nur weil der Mann nichts zugegeben hat, ist er noch lange nicht unschuldig.»
«Das mag ja sein. Aber die Geschichte, die er erzählt, ist den Umständen entsprechend glaubwürdig. Nach dem, was wir über die Geschädigte wissen, passt es ganz gut. Und Indizienbeweise haben wir keine.»
«Aber die haben wir doch gerade! Das Blut auf den Wolldecken! Wenn das kein Indiz ist!»
«Ein schwaches, Frau – äh …»
«Aksoy.»
«– ein schwaches. Das Mädchen hatte achtzehn Messerstiche im Bauch, einer davon traf die Aorta, sie muss also heftig geblutet haben. Auf der Decke befanden sich aber bloß kleinste Spuren von Blut, keine Sturzbäche. Und meines Wissens hat die Kriminaltechnik – Herr Pietsch, Herr Freimann?»
«Weitere Blutspuren auf dem ganzen Boot Fehlanzeige», erklärte Freimann. «Überhaupt haben wir bei der Durchsuchung praktisch nichts Verwertbares gefunden. Ein paar Haare und Fingerabdrücke des Opfers noch.»
«Was nicht weiterhilft», ergänzte Nötzel, «denn dass sie da war, gibt er ja zu.»
Aksoy sah enttäuscht drein, setzte dann neu an. «Aber diese Geschichte, sie hätte ihre Tage gehabt, die ist klar gelogen. Im Obduktionsbericht stand nichts von Menstruationsblut in der Scheide. Heute früh habe ich die Kollegen aus der Gerichtsmedizin gebeten, sie sollen doch die Blutprobe, die sie haben, mal auf die Hormonwerte untersuchen. Das Ergebnis hab ich schon. Die Geschädigte war in der Zyklusmitte, eindeutig nicht menstruierend.»
«Es gibt auch Zwischenblutungen», murmelte düster Fock, dem man solches Detailwissen über den weiblichen Körper nicht zugetraut hätte.
Nötzel schlug die Beine übereinander und redete weiter. «Also, Frau Aksoy, Sie haben sicher recht, dass Naumann gelogen hat, als er sagte, die Geschädigte hätte ihre Tage gehabt. Meine Meinung dazu ist, der hat eben nach einer Erklärung gesucht, die er uns präsentieren kann. In Wahrheit weiß der Mann selbst nicht, wo das Blut auf den Decken herkam. Wir wissen es aber, oder?»
«Wie meinen Sie das?»
«Im Obduktionsbericht ist von zahlreichen kleinen Schnittwunden auf den Armen die Rede, einige davon ganz frisch. Die Geschädigte wird sich geritzt haben, während sie allein in Naumanns Wohnzimmer war.»
«Ach, natürlich», seufzte Aksoy.
Winter war beeindruckt von Nötzel. Der Mann kannte die Akten, konnte denken.
«Na, dann ist ja alles klar», fasste fröhlich der kleine Kettler zusammen. «Ich mache mich dann jetzt auf die Socken, habe es heute leider, leider etwas eilig.» Ohne weitere Erklärung oder Entschuldigung verschwand er so beschwingt, dass seine braunen Locken wippten.
«Was meinen Sie denn?», wandte sich Nötzel jetzt an Winter. Also war er doch nicht nur stiller Teilnehmer.
Winter räusperte sich. «Ich gehe nach wie vor davon aus, dass die Serdaris die Tat begangen hat und Benedetti versucht, sie zu schützen. Er hat wahrscheinlich nur die Leiche beseitigt, oder sie haben das zusammen getan.»
«Wir haben aber kein einziges Szenario, das zu Serdaris als Täterin richtig passt», beschwerte sich die Aksoy. «Wir kennen ja nicht mal den Tatort.»
«Doch», sagte Nötzel. «Wir kennen ihn. Der Tatort war die Wohnung Serdaris/Benedetti. Gerade die Tatsache, dass Sie dort keinerlei Opferspuren gefunden haben, spricht dafür. So sorgfältig putzt man nur, wenn man Spuren beseitigen will.»
Winter wurde kalt. Keine Opferspuren in der Wohnung? Davon hörte er zum ersten Mal. Irgendwie hatte er diesen Fall nie richtig im Griff gehabt. Von Anfang an hatte ihn die Aksoy mit ihren wirren Ideen vom roten Faden abgelenkt. Und dann noch die Sache mit Sara …
Nötzel redete längst weiter.
«Es muss ungefähr so abgelaufen sein: Das Mädchen ging am Freitagnachmittag noch einmal zu dem Haus in der Haeussermannstraße, aus welchem Grund auch immer, und klingelte bei Serdaris/Benedetti. Die Serdaris war allein zu Haus. Sie öffnete und fasste spontan den Entschluss, die Konkurrentin mit Gewalt zu beseitigen. Sie tat freundschaftlich, ließ der Geschädigten Badewasser ein, setzte sich
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