Staustufe (German Edition)
wiederholten Male aus, dass er dem Mädchen Jennifer im Bett keine Gesellschaft geleistet hat. Im Übrigen hat mein Mandant jetzt alles gesagt, was er zu sagen hat. Meinen kombinierten Antrag auf Haftprüfung und Akteneinsicht reiche ich heute noch ein.»
Er stand auf. Naumann selbst blieb noch für die Formalitäten, dann ging er zurück in die U-Haft.
Vorläufig.
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11
Am folgenden Morgen herrschte eine seltsame Stimmung im Büro des Mainmädchenteams.
An Kettler, dem Neuen, lag es nicht. Er redete viel, arbeitete wenig und hatte ausgezeichnete Laune, da es Freitag war und er sich schon aufs Wochenende freute.
Winter und Aksoy dagegen waren schweigsam und warfen sich Blicke zu. Der Mainmädchenfall war nun eine Woche alt. Und er sollte heute abgeschlossen werden. Die Woche war psychisch und physisch anstrengend gewesen; sowohl Winter als auch Aksoy hatten seit längerem keinen freien Tag gehabt, und allmählich machte sich eine gewisse Erschöpfung breit. Außerdem war heute Aksoys letzter Tag hier.
Am Abend würde unter Focks Leitung die Abschlussbesprechung im Fall Mainmädchen stattfinden. Winter hatte auch eine Einladung bekommen, als «stiller Teilnehmer» (so hatte es Hildchen, die Kommissariatssekretärin, ausgedrückt).
Winter war an diesem Freitagmorgen lange vor acht im Büro gewesen. Als Erster, absichtlich. Aus der Akte hatte er sich Selims vollen Namen und die Adresse besorgt. Beide hatte Sara gestern im Verhör preisgegeben. Winter hatte eine Suche bei POLAS gestartet, mit dem Ergebnis, dass der berüchtigte Selim bisher polizeilich wenig in Erscheinung getreten war. Einmal war er Zeuge in einer Diskothekenschlägerei. Beim Amtsgericht gab es einen Eintrag über einen Bußgeldbescheid wegen Medikamentenschmuggels aus der Türkei – Selim war am Flughafen mit sechs Päckchen Antibiotika erwischt worden. Aber das war bloß eine Ordnungswidrigkeit. Keine Straftaten, keine Gewaltdelikte.
Winters Gefühl allerdings sagte, dass es kein Zufall war, dass Selim an einer Mainbrücke wohnte und das Mainmädchen gekannt hatte. In der Nacht hatte sich bei ihm die Vorstellung verdichtet, das Mädchen sei nach dem mittäglichen Treffen mit Nino Benedetti in die Stadt gefahren und bei Selim aufgekreuzt. Schließlich brauchte sie einen Schlafplatz.
Da Aksoy noch nicht da war, schrieb Winter ihr eine Mail. Inhalt: Er empfehle, heute betreffs Mainmädchen noch Selim Okyay zu befragen. Sie solle auch noch einmal genau überprüfen, ob die Spuren an der Staustufe wirklich dafür sprachen, dass das Mädchen dort ins Wasser gekommen war. Er traue diesem Selim zu, dass der in Griesheim Spuren legte, um von sich abzulenken.
Aksoy warf Winter einen langen Blick zu, nachdem sie schließlich seine Mail gelesen hatte. Kettler mit seinem Lockenkopf plapperte fröhlich weiter und merkte nichts.
Aksoy sagte keinen Ton, aber schrieb zurück: «Beteiligung des Selim O. kommt mir unwahrscheinlich vor.»
Winter mailte ihr ärgerlich weitere Argumente. Benedetti hatte ausgesagt, er habe dem Mädchen zusammen mit dem Flugticket noch zweihundert Euro in bar ausgehändigt. Vielleicht wollte Selim an das Geld, und es war schlicht ein Raubmord gewesen. Bei Mord an Nicht-Familienmitgliedern war Habgier sowieso das häufigste Motiv.
«Herr Winter», sagte Aksoy über die Tische hinweg, nachdem sie gelesen hatte. «Raubmord ist eine gute Idee. Diesen Aspekt haben wir vernachlässigt. Aber was den Täter betrifft – also, es gibt eben Gründe, warum Menschen mit persönlicher Beteiligung von einem Fall abgezogen werden. Die Objektivität ist dann einfach nicht gegeben.»
«Na, vielen herzlichen Dank», sagte Winter. «Wie gut, dass Sie immer vollkommen objektiv urteilen. Dass die Serdaris unschuldig ist, das wissen Sie ja schon deshalb, weil Frauen grundsätzlich keine Täter sein können.»
Kettler, der schon sein zweites Brot aß (angeblich hatte er «ein Defizit aufzufüllen»), sah mampfend hoch. Neugierig blickte er durch den schwarzen Brillenrand erst Winter, dann Aksoy an und fragte:
«Sagt mal, warum siezt ihr euch eigentlich?»
«Das hat sich so ergeben», sagte Winter.
Und mit diesem unsensiblen Idioten Kettler sollte er nun jahrelang das Büro teilen. Da war ja die Aksoy besser.
Um zehn kam die Nachricht, die Leiche des vermissten Geschäftsmanns Konstantin Herbold sei bei Sindlingen angeschwemmt worden. Winter hatte gestern früh schon herausbekommen, dass die Firma des Mannes an einem
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