Staustufe (German Edition)
das Haus, während Aksoy den Eingang sicherte.
Winter kehrte erst nach einer längeren Tour um die Häuserzeile zurück. Aksoy sah ihn schon von weitem den Kopf schütteln.
«Das gibt’s doch nicht», sagte er, als er wieder bei ihr war. «Die wird uns doch wohl nicht über die Dächer abgehauen sein? Hinten bei der Nummer zehn steht nämlich eine Luke offen.»
«Och nee», stöhnte Aksoy. «Wenn sie übers Dach zur Nummer zehn geklettert wäre und dann dort durch die Haustür raus, das wär uns gar nicht aufgefallen. Ich hatte natürlich die ganze Zeit nur die Tür von der Vierzehn fest im Blick. – Aber ich weiß nicht. Find ich unwahrscheinlich, dass die in ihrem Zustand so was Abenteuerliches versucht, wie über die Dächer zu fliehen. Eher hat sie sich in der Wohnung im Schrank versteckt. Wir sollten noch mal hochgehen.»
Winter zog zweifelnd eine Augenbraue hoch und ging wortlos zum Wagen. Aksoy folgte ihm verwirrt.
«Ich glaube», sagte er, als er die Wagentür öffnete, «dass wir jetzt eine Fahndung rausgeben sollten. Oder zumindest Verstärkung holen. So was Blödes ist mir in meinen ganzen zwanzig Dienstjahren noch nicht passiert.»
Natürlich war es kein Zufall, dachte er, als er im Wagen saß. Ein solcher Anfängerfehler, eine Verdächtige quasi vor den eigenen Augen entweichen zu lassen, wäre ihm garantiert nicht unterlaufen, wenn er beispielsweise mit Gerd oder alleine hier gewesen wäre.
«Sie hätten mich per Handy holen müssen, während Sie mit der Frau sprachen», sagte er müde und gereizt zu Aksoy, als sie zugestiegen war. «So eine Verdächtige lässt man doch nicht aus den Augen.»
«Ach!», entgegnete sie, ziemlich blass. «Das war doch wohl nicht meine Idee. Wer hat denn gesagt, ich soll beim ersten Verdacht das Gespräch sofort abbrechen und zu Ihnen kommen?» Nervös fummelte sie am Reißverschluss ihrer Jackentasche.
«Mensch, Aksoy», sagte Winter, «das bezog sich nur darauf, falls sie einen gemeingefährlichen, zwei Meter großen Schrank von einem Mann vor sich haben, der Sie angreifen könnte.»
«Das haben Sie aber so nicht gesagt», protestierte Aksoy schwach, die ein Kaubonbon in ihrer Jackentasche gefunden hatte und es zur Stärkung in den Mund schob
«Das musste ich auch nicht sagen», donnerte Winter, «das war doch klar, dass ich nicht meinen kann, Sie sollen vor einer schwächlichen Frau Reißaus nehmen!»
Aksoy atmete tief durch und kaute an ihrem Bonbon. «So, Herr Winter. Jetzt beenden wir vielleicht mal die Schuldzuweisungen. Ich hab keine Angst vor großen Männern, also hab ich natürlich gedacht, es geht nur darum, dass Sie die Befragung bei einem Verdächtigen unbedingt selbst machen wollen. Und gerade weil ich weiß, dass es schwierig ist zwischen uns beiden, bin ich Ihrer Anweisung blind gefolgt. Wir haben uns missverstanden. Das nächste Mal machen wir es besser, okay?»
Winter ging davon aus, dass es nach den heutigen schlechten Erfahrungen kein nächstes Mal geben würde. Jedenfalls wenn es nach ihm ging. Aber das behielt er diplomatisch für sich.
Die Aksoy hatte insofern recht, als die heutige Pleite in gewisser Weise wirklich die Folge eines Missverständnisses war. Aber bei zwei so konträren, einander nicht trauenden Charakteren wie ihm und ihr waren Missverständnisse eben vorprogrammiert. So was musste man nicht haben in einem Team. Er drückte wortlos den Knopf, um endlich, viel zu spät, die Fahndung rauszugeben.
«Moment», sagte Aksoy. Winter sah sie an.
«Warum sollte die Serdaris eigentlich fliehen?», fragte sie mit plötzlich sehr ruhiger Stimme. «Ich hab doch so getan, als wäre das eine reine Routinebefragung. Und als würde ich ihr glauben, dass sie das Mädchen nicht kennt.»
«Menschen handeln in Panik nicht immer rational», sagte Winter.
«Bezieht sich das auf uns oder auf die Serdaris?», fragte Aksoy. Sie grinste plötzlich. Winter sah sie irritiert an, doch dann entspannte er sich und grinste zurück. «Also gut», sagte er, «denken wir noch mal nach.»
«Wie heißt es noch im Handbuch der Kriminalistik», dozierte Aksoy, «man sollte sich durch offenstehende Fenster nicht täuschen lassen.»
Winter nickte bedächtig. Dann sagte er: «Da wir die Haustür die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen haben, ist sie noch dadrin. Fragt sich nur, wo.»
Sonja Manteufel nahm die dritte Tüte Chips für den Tag in Angriff. Die dritte ging nur mit kalter Cola gut runter. Dazu ließ sie sich von einer antiquierten
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