Staustufe (German Edition)
seiner Kanzlei bin ich hier, um Akteneinsicht zu erhalten. Unser Antrag ging gestern Nacht noch an die Staatsanwaltschaft und wurde heute genehmigt.»
Winter musste sich nach alledem erst einmal sammeln. Von so einer schnellen Antragsbearbeitung hatte er noch nie gehört.
«Moment, Moment», sagte er. «Die Ermittlungen wurden wiederaufgenommen. Ich glaube nicht – ich muss mich erst bei der Staatsanwaltschaft rückversichern.»
Die Manteufel holte eine Mappe aus ihrer Umhängetasche hervor. Darin war die Genehmigung, mit der sie ihm vor der Nase herumwedelte.
«Das ist doch nicht Ihr Problem, Herr Winter, wenn die Staatsanwaltschaft vorschnell handelt», sagte sie mit einem Zwinkern.
Winter schwankte zwischen Ärger und Amüsement. «Wissen Sie was, Frau Manteufel», antwortete er schließlich in neckischem Ton. «Heute lohnt sich das gar nicht für Sie. Was Ihr Mandant ausgesagt hat, wissen Sie ja schon. Aber wenn Sie noch einen Tag warten, dann bekommen Sie das Verhör mit dem wichtigsten anderen Verdächtigen gleich dazu. Und dafür, dass ich Ihnen das verraten habe, gedulden Sie sich bitte bis morgen oder übermorgen früh, bis die Ermittlungen tatsächlich beendet sind.»
Darauf ließ sie sich ein. Winter betrat kopfschüttelnd das Büro. Die Manteufel Anwältin und verheiratet? Unglaublich.
Im Büro saß Aksoy, im Sessel zurückgelehnt, die Beine auf dem Tisch. Sie sah müde und ausgelaugt aus. Aha, auch diese unermüdliche Arbeitsmaschine hatte schwache Momente. Das war ja fast beruhigend.
«’n Abend», murmelte sie. «Sie hatten sicher einen ätzenden Tag?»
«Das kann man wohl so sagen.»
«Gehen wir gleich zu unserem berühmten Schriftsteller, oder brauchen Sie erst eine Pause?»
«Ich fühle mich fit genug, danke. Aber bevor wir gehen können, ist ja noch einiges zu erledigen.»
«Ach, Herr Winter, das ist schon erledigt. Glaube ich jedenfalls. Ich habe über Nötzel einen Haftbefehl für Guido Naumann besorgt. Außerdem haben wir seit ein paar Stunden eine verdeckte Observation, oder jedenfalls beinahe: Ein Kollege von der Streife hat seine Zivilklamotten angezogen und geht immer mal ans Mainufer zum Nachsehen. Seit es dunkel wird, brennt Licht in Naumanns Kahn. Der Vogel scheint also bislang nicht ausgeflogen zu sein. Ich hab gedacht, wir gehen mit der Streife hin zur Verhaftung. Das SEK wäre etwas übertrieben, oder?»
Pfff! Winter musste das erst einmal verdauen. Die perfekte, ultraeffiziente Frau Aksoy. Nur mit der Teamarbeit hatte sie’s nicht so.
«Ich finde schon den Haftbefehl übertrieben», erklärte er. «Wir haben ja bereits einen Beschuldigten in U-Haft sitzen. Der war es zwar wahrscheinlich nicht. Aber ich glaube ehrlich gesagt auch nicht, dass es dieser Naumann war.»
«Und das Blut auf der Decke?»
«Das waren doch nur kleine Spuren. Wolldecken wäscht man nicht, im Laufe der Jahre kann da leicht irgendwo mal ein Tropfen Blut drankommen. Und Blutgruppe A, Rhesus-negativ – das hat die Hälfte der Bevölkerung. Glatte mittelblonde Haare ebenso.»
Aksoys Gesicht spannte sich, sie nahm die Beine vom Tisch. «Also, ich finde den Schriftsteller sehr verdächtig. Wir wissen, dass das Mainmädchen in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag bei Serdaris und Benedetti geschlafen hat, aber danach nicht mehr. Sie muss Donnerstagnacht irgendwo anders untergekommen sein. Und zwar wahrscheinlich irgendwo in Griesheim in Mainnähe. Benedetti sagt ja, sie sei diejenige gewesen, die den Treffpunkt an der Staustufe für die Übergabe des Flugtickets vorgeschlagen habe. Meiner Meinung nach war ihr neuer Gönner der Schriftsteller. Und in der zweiten Nacht, die sie bei ihm verbringen wollte, ist irgendwas schiefgelaufen.»
«Ja, auszuschließen ist das nicht. Deshalb werden wir ihn ja auch verhören. Aber gleich einen Haftbefehl … denken Sie mal an die Presse, Frau Aksoy. Der Mann ist Schriftsteller, in gewissen Kreisen bekannt, hat vielleicht irgendwelche Preise bekommen. Die Presse macht einen großen Aufriss, wenn so jemand verhaftet wird. Wegen Mordverdachts auch noch. Und wenn wir ihn dann bald wieder gehen lassen müssen, ist das schlecht für den Ruf der Polizei. Sie haben da vielleicht noch zu wenig Erfahrung.»
Die Aksoy hörte sich das kommentarlos an. Zog ihr Haargummi heraus, kämmte die Haare mit den Fingern ordentlich nach hinten und band ihren Zopf neu. Ihr Blick wirkte alles andere als überzeugt.
«Tja, jetzt haben wir den Haftbefehl», sagte sie, nun ebenfalls
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