Staustufe (German Edition)
antwortete Fock irritiert.
«Es gibt einen neuen Verdächtigen in der Mainmädchensache. Eben bekomme ich die Laborergebnisse betreffs zweier Wolldecken rein, die Kollege Heinrich von der Schupo in einem Müllcontainer in Mainnähe gefunden hat. Auf der einen Wolldecke sind Blutspuren. Die Blutgruppe stimmt mit dem Blut des Opfers überein, außerdem wurden Haare gefunden, die von der Toten stammen könnten. Die genetischen Tests laufen noch. Die Decken stammen aus dem Haushalt eines Anwohners. Ein Schriftsteller, der auf einem Hausboot am Griesheimer Jachthafen wohnt. Er wurde dabei beobachtet, wie er die Wolldecken entsorgte. Der Mann muss doch sicher vorgeladen und vernommen werden.»
Winter wunderte sich: Der Schriftsteller war dabei beobachtet worden, wie er die Decken entsorgte? Davon wusste er noch gar nichts.
«Aber …», begann Fock. Dann sammelte er sich. «Es dürfte sich um Zeitverschwendung handeln, nachdem wir ein Geständnis haben. Aber einer solchen Spur muss natürlich nachgegangen werden. – Winter, warum erfahre ich von diesen Wolldecken erst jetzt? Da scheint ja einiges drunter und drüber zu gehen bei Ihnen. Nun, es lässt sich nicht ändern. Ich werde die Staatsanwaltschaft verständigen. Mein Vorschlag: Sie beide machen heute Ihren Job wie zugeteilt, und heute Abend ab sechs holen Sie sich dann diesen Schriftsteller. Ohne Überstunden geht es nicht, wenn zwei Tötungsdelikte zugleich bearbeitet werden müssen.»
«Kollege Heinrich von der Streife hätte jetzt Zeit für den Schriftsteller», gab Aksoy zu bedenken, während Winter noch verdaute, dass sie es schon wieder geschafft hatte, ihn schlecht dastehen zu lassen. Und zwar vor versammelter Mannschaft.
«Heinrich wurde vom Revier angefordert», antwortete Fock. «Ist er denn noch nicht dorthin gefahren?»
«Nicht dass ich wüsste», erklärte Aksoy. «Als ich vor einer halben Stunde zuletzt von ihm gehört habe, war er gerade in der Mainmädchensache unterwegs.»
«Wie?» Fock verfärbte sich passend zur roten Fliege. «Herr Winter, bitte erklären Sie mir das. Ich hatte Ihnen doch vorhin ausdrücklich gesagt –»
Winter nahm die Hände hoch. «Sorry, Chef, nicht mein Fehler. Ich habe Heinrich heute noch nicht gesehen.»
«Aber haben Sie – egal, das kostet jetzt zu viel Zeit. Kümmern Sie sich verdammt noch mal drum, dass das in Ordnung geht. Und bitte ersparen Sie mir weitere Überraschungen dieser Art.»
Winter konnte sich für den Rest der Sitzung kaum konzentrieren vor schlechter Laune. Es war wirklich der Wurm drin, seit Gerd weg war. Vielmehr seit die Aksoy da war. Da lag wahrscheinlich das Problem. Sie irritierte ihn. Er konnte nur beten, dass sie Ende der Woche wie geplant wieder zum KDD verschwinden würde.
Nach dem Briefing betrat er ausnahmsweise ohne Aksoys Begleitung das Büro, da die zu den Toiletten abzischte. Drinnen traf er auf Heinrich, der gerade Gerds Rechner hochfuhr. Es stellte sich heraus, dass Heinrich heute früh dem einzig wirklich guten Hinweis nachgegangen war, der durch Aksoys Plakataktion hereingekommen war.
«Ich sage Ihnen, das war total interessant», erzählte der junge Mann aufgeregt. «Total seltsam, dieses Mädchen, wie die die Leute quasi hörig macht –»
«Ähm, Herr Heinrich, Patrick, du musst jetzt leider aufs Revier, und zwar sofort. Hat der Chef mit deinen Leuten so ausgemacht.»
Heinrich guckte, als würde man ihm sein liebstes Spielzeug wegnehmen. Wie jung er ist, dachte Winter. Seine eigene Jugend war ihm irgendwann im letzten Jahrzehnt entglitten. Beinahe als wäre er jetzt ein ganz anderer Mensch als der aufstrebende junge Kriminalkommissar von einst, dem die Welt zu Füßen lag.
Jetzt tauchte die Aksoy wieder auf, die mit ihren dreißig sicher auch noch nicht so desillusioniert war, wie Winter sich gerade fühlte. Er bezwang seine schlechte Laune, schüttelte Heinrich zum Abschied die Hand und erklärte, er sei ein Super-Mitarbeiter gewesen, und falls er sich jemals bei der Kripo bewerben wolle, habe er seine Unterstützung. Verlegen versprach Heinrich, heute irgendwie und irgendwann noch das Protokoll über die Befragung in Sachsenhausen zu schreiben.
Als Heinrich draußen war, begann die Aksoy: «Ähm, Herr Winter, das tut mir leid mit vorhin. Ich hätte das mit Fock wohl besser nach der Sitzung – also, ich hab Fock wohl auf dem falschen Fuß erwischt.»
«Nein, haben Sie nicht, Fock ist immer so.» Das fehlte noch, dass die Aksoy ihn mit Krokodilstränen
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