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Staustufe (German Edition)

Staustufe (German Edition)

Titel: Staustufe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Reichenbach
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Fenster aus tatsächlich die in der Ferne liegende Staustufe gut im Blick hatte, genau wie Naumann bei der Anwohnerbefragung ausgesagt hatte. Davor lag das breite, dunkel schillernde Band des Flusses. Es musste ein ganz eigenes Lebensgefühl sein, auf einem solchen Boot zu leben.
    Naumann suchte ein paar Sachen zusammen, fragte, ob er telefonieren dürfe. «Natürlich», sagte Winter. Naumann klickte sich durchs Adressbuch seines Telefons, ließ eine Nummer anwählen. «Ja, hallo, Tom, hier ist Guido Naumann. Gut, dass ich dich um die Uhrzeit noch erreiche. Ja, ich weiß, ihr arbeitet lang im Verlag. Du, ich werde hier gerade verhaftet. Von der Polizei, ja. Verdacht auf Tötung eines Mädchens. Natürlich hanebüchener Unsinn. Aber vielleicht gibst du das an die Presse weiter, jedenfalls wenn du denkst, dass es … ja, eben. Prima. Nein, hab ich nichts dagegen. Du, noch was: Könnt ihr mir möglicherweise einen Anwalt stellen? Oder euch beteiligen? Ich denke an jemanden mit einem gewissen Niveau. So wie früher der Bossi. Gibt es da heute jemanden in der Art, möglichst in Frankfurt, oder wüsstest du sonst … Ah. Ah, ja, gut. Kümmerst du dich drum? Und wenn das nicht klappt, dann eben jemand anderen, irgendwas Solides. Nein, ich weiß nicht – ruf dann doch einfach beim Polizeipräsidium an. Die müssten dich durchstellen können. Aber vielleicht bin ich morgen schon wieder draußen.» Er schwieg einen Moment.
    «Würden Sie sich bitte etwas beeilen», drängelte Winter.
    Naumann ignorierte ihn, sprach weiter ins Telefon. «Ja, ich verstehe. Gut, das ist jetzt eine Ad-hoc-Einschätzung von dir. Aber die Idee hört sich gut an. Ich sehe mal, was sich machen lässt. Und drück mir die Daumen, dass das nicht noch schiefläuft. Ich meine, dass die mich tatsächlich … Man traut diesen Schrumpfköpfen doch alles zu. – Okay, dank dir, tschau.»
    Winter bezweifelte keine Sekunde, dass mit den «Schrumpfköpfen» die Polizei gemeint war. Er suchte nach Worten, um Naumann pointiert in die Schranken zu weisen. Aber ihm fiel nichts ein. Als zweitbeste Alternative entschied er sich dafür, Naumanns pubertäres Benehmen überlegen zu ignorieren.
    Der Mann war nun endlich so weit. Winter bedeutete Kollegin Aksoy, sie solle als Letzte gehen. Angespannt beobachtete er, wie Naumann vor ihm den langen Steg überquerte. Der Wind kam in Böen, Wellen schwappten, der Steg knarrte, klapperte und schwankte.
    Naumann konnte ihnen sowohl hier auf dem Steg als auch auf dem Mainuferweg Probleme bereiten, indem er in den Fluss sprang und in der Dunkelheit fortschwamm. Oder er floh auf eines der unübersichtlichen Grüngrundstücke. Jeden anderen Arrestanten hätte Winter in dieser Situation mit Handschellen gefesselt. Doch bei Naumann scheute er sich. Er wollte nicht als der primitive Polizist dastehen, der den zivilisierten Schöngeist mit roher Gewalt angeht. Es war ohnehin besser, den Mann in der Sicherheit zu wiegen, dass man ihn nicht wirklich verdächtige.
    Guido Naumann missbrauchte die Freiheit nicht. Er öffnete mit seinem Schlüssel das Tor am Ende des Steges, übergab den Schlüsselbund dann Winter, der ihn an Aksoy weiterreichte, damit sie Boot und Steg abschloss. Erhobenen Hauptes und schweigend ging der Verhaftete mit der Polizistengruppe in der Dunkelheit am Main entlang, bis sie kurz vor der Autobahnbrücke eine öffentliche Grünanlage erreichten. Dort, an der nächstgelegenen Zufahrt zum Mainufer, hatten die Kollegen den Bus geparkt.
    Winter stieg mit ein. Aksoy würde den Wagen übernehmen, mit dem sie beide gekommen waren. Dafür musste sie wieder ein gutes Stück durch die Dunkelheit zurück. Aber sie lachte nur, als Winter sie fragte, ob der Weg für eine Frau allein nicht zu gefährlich sei.

    Sara war allein auf der Aussichtsplattform der Staustufe zurückgeblieben. In Richtung Osten glitzerten über dem dunklen Streifen der Autobahnbrücke fern die Lichter der Stadt. In der nahen Umgebung war jetzt beinahe alles schwarz. Bis auf die Neonlichter an der Schifffahrtsrinne. Die aber lag weit rechts hinter einer Flussinsel. Der Main war hier viel breiter als in der Stadtmitte, die Ufer unbefestigt. In der Dämmerung hatte Sara am Ufer der Insel einen riesigen dunklen Vogel seine Flügel recken gesehen. Die Silhouette sah unheimlich aus, beinahe als wäre es ein Flugsaurier. In Wahrheit war es bestimmt ein Schwan, der dort in der Einsamkeit lebte. Sogar auf der bebauten Griesheimer Seite war in den Villen kaum

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