Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Staustufe (German Edition)

Staustufe (German Edition)

Titel: Staustufe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Reichenbach
Vom Netzwerk:
schlechtgelaunt. «Also, gehen wir? Oder müssen Sie noch Ihre Weste anziehen?»
    Sie hatte ihre schon angelegt.
    Winter wollte ohne Weste gehen. Er schwitzte leicht unter dem unbequemen Ding. Und ein Schriftsteller war seiner Ansicht nach nicht gefährlich.
    «Übrigens, Frau Aksoy, was ich Sie noch fragen wollte», lenkte er ab. «Haben Sie heute Morgen nicht dem Chef erzählt, der Schriftsteller wäre beobachtet worden, wie er die Wolldecken beseitigt hat? Haben Sie das erfunden, oder wie?»
    Aksoy lächelte verschmitzt. «Ach, Herr Winter, das steht in Ihrem eigenen Protokoll!»
    Winter machte ein ungläubiges Gesicht, dann musste er fast lachen, als er sie schelmisch grinsen sah.
    «Wie bitte? Wo soll das stehen?»
    «Als Sie gestern Eleni Serdaris in der Mangel hatten, da habe ich noch mal alle Befragungsprotokolle gelesen. Und da heißt es an einer Stelle, eine Frau Rölsch aus dem Haus in der Haeussermannstraße hätte gesagt, ihr wäre die Tage nichts Ungewöhnliches aufgefallen, mit einer Ausnahme: Als sie am Sonntag früh um sieben am Main spazieren gewesen sei, da sei ein Mann von einem Boot am Jachthafen gekommen mit einem Koffer in der Hand. Als er sie gesehen habe, habe er gleich wieder kehrtgemacht und sei aufs Boot zurück. Ertappt, wenn Sie mich fragen. Jedenfalls ist unser Schriftsteller Guido Naumann derzeit der Einzige, der ein Boot am Jachthafen liegen hat. In dem Koffer waren sicher die Wolldecken.»
    «Na, das sind ja kühne Schlüsse. Aber Sie könnten natürlich recht haben. Ich bin gespannt. Haben Sie denn mit der Streife schon geklärt, wie wir uns dem Objekt nähern?»
    Das wenigstens hatte sie übersehen. Winter holte sich eine Luftaufnahme des Areals auf den Bildschirm und telefonierte mit den Kollegen von der Schupo. Wo Naumanns Boot lag – es war auf dem Satellitenbild gut zu sehen –, da säumten den Main private Grüngrundstücke. Es gab keine direkte Zufahrt. Der einzige Zugang war der Mainuferweg für Fußgänger, der vom Boot aus bei unbelaubten Bäumen weitgehend einsehbar war.
    Sie entschieden sich, zu Fuß und aus zwei Richtungen zu kommen: Die uniformierten Kollegen von Osten, wo die A5 über dem Main brauste und Geräusche schluckte. Er und Aksoy von Westen, aus Richtung Staustufe. Guido Naumanns Arbeitszimmer ging in diese Richtung. Der Schriftsteller würde sie beide hoffentlich für Spaziergänger halten. Es war jetzt gewiss zu dunkel, als dass Naumann eine Frauengestalt auf dem Weg als die Polizistin erkennen könnte, die ihn vor einigen Tagen befragt hatte.

[zur Inhaltsübersicht]
    6
    Als sie aufs Griesheimer Ufer bogen, hatte es aufgeklart. Ein sanfter, kühler Wind wehte. Die Sonne war gerade untergegangen. Der Himmel bot im Westen über dem Fluss ein samtiges Mittelblau mit leuchtenden rosa Untertönen. Davor hob sich imposant die Silhouette der Staustufe ab. Der Anblick ließ sie einen Augenblick innehalten, obwohl sie in die andere Richtung wollten.
    «Herr Winter», sagte Aksoy leise und griff ihn am Arm.
    «Ja?», erwiderte Winter verdattert. Was kam denn jetzt?
    «Sehen Sie das?» Man hörte sie kaum.
    «Was? Die Staustufe?»
    «Ja, nein, sehen Sie, da auf diesem Vorsprung, da sind doch Leute, sehen Sie nur!»
    Jetzt sah Winter es auch. Sein Herz gefror.
    Auf einer massiven Ausbuchtung aus Rohbeton an einem der Pfeiler der Staustufe, spitz zulaufend, bedrohlich wie ein Festungsbollwerk, zeichneten sich im Licht der Nachtbeleuchtung und der Dämmerung menschliche Schattenrisse ab. Schwarze Gestalten, in langen Gewändern, mit wehenden Haaren, aufgestellt wie für eine Filmkulisse. Zwei standen rechts, zwei links, und in der Mitte über der Spitze des Bollwerks stand jemand in langem, wehendem Mantel auf der Betonmauer direkt über dem Abgrund. Die Arme hielt er erhoben wie eine Engelfigur oder der gekreuzigte Jesus.
    «Mein Gott», flüsterte Aksoy, «der springt.»
    Zehn Meter darunter war der Main, spiegelglatt. Doch der Fluss war an dieser Stelle lebensgefährlich wegen der Sogwirkung der Wehrs und der Turbinen.
    Niemand sprang. Die schwarze Figur machte einige ausladende Bewegungen mit den Armen und hüpfte dann rückwärts zurück auf die Plattform.
    «Wissen Sie was», flüsterte Aksoy, «wissen Sie, woran wir überhaupt nicht gedacht haben? Vielleicht haben irgendwelche satanistischen Jugendlichen das Mainmädchen getötet. Es ist doch, also, es hat doch beinahe etwas von einem Ritual, diese vielen Stiche. Wir müssen …»
    Winter wurde aus

Weitere Kostenlose Bücher