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Staustufe (German Edition)

Staustufe (German Edition)

Titel: Staustufe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Reichenbach
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flau. Alles war drin, pedantisch abgeheftet in Klarsichthüllen: Kontoauszüge, Rechnungen, Korrespondenz mit Banken. Sogar eine Steuerklärung. Um Himmels willen: Bert machte also Steuererklärungen. Das hatte sie nicht gewusst. Natürlich, es gab dann etwas mehr Geld. Aber das war doch riskant. Ein unnötiges Risiko.
    Sie stellte den Ordner wieder hinein, verschloss das Rollo, probierte die Türen unten am Schrank. Noch mehr Ordner. Darunter auch der gesuchte: 1994. Noch von Hand beschriftet, mit einem Filzstift und einer Zahlenschablone.
    Unbequem in der Hocke sitzend, öffnete sie ihn. Die vordersten Blätter hatten Knicke, Eselsohren, Kaffeeflecken. Hier hatte offensichtlich noch jemand anderer als ihr Mann die Akten geführt. Sie blätterte weiter. Doch den Brief, den sie suchte, fand sie nicht. Hatte ihr Mann ihn vernichtet? Sie blätterte noch einmal zurück. Nun fiel ihr auf, dass noch etwas Weiteres fehlte: der Vertrag zwischen ihrem Mann und Werner Geibel. Oder war das nur eine mündliche Vereinbarung gewesen? Ja, doch, es war mündlich gewesen, das hatte er ihr doch immer gesagt: Wir haben nichts in der Hand. Irgendwo zwischendrin stieß sie auf eine Klarsichthülle, in der steif zwei unbeschriftete Pappdeckel staken. Was war das denn?
    Sabine zog an den Pappdeckeln, die so eng und fest in der Hülle saßen, dass sie sich kaum bewegen ließen.
    In diesem Moment setzte schlagartig ein ohrenbetäubendes Dröhnen und Rauschen ein. Sabine schrie auf vor Schreck, so ängstlich und verzagt war sie. Dabei war es nur die verfluchte Staustufe. Sie sah aus dem Fenster. Am Wehr hatte man die Walzen heruntergelassen. Entlang der ganzen Breite ergoss sich ein fünf Meter hoher Wasserfall vom Ober- ins Unterwasser, schäumte beim Auftreffen gischtig und gelb und brachte den eben noch spiegelglatten unteren Mainabschnitt zum Brodeln. Es war lauter als jede Autobahn.
    Natürlich konnte Sabine bei dem Krach jetzt nicht mehr hören, ob ihr Mann vorne vorfuhr. Sie musste die Aktion abbrechen. Nie gelang etwas, das sie anfing.
    Wenn sie wenigstens fortziehen könnte. Wenn sie nur nicht dazu verdammt wäre, ihr ganzes Leben an diesem schrecklichen, unheimlichen Ort zu verbringen.

    Der letzte der Stricher war für Winter der schwerste gewesen. Er wirkte genauso unglücklich und müde wie Winter selbst, war sehr jung, fünfzehn vielleicht, hatte große treue Augen und sprach gebrochen Englisch. Er wäre gerne länger zur Schule gegangen, erzählte er, doch leider habe er mit zwölf runtergemusst, Geld verdienen für die Familie, er sei der Älteste. Ob Winter Kinder habe?
    Der Jüngling schien auf der Suche nach einer Vaterfigur. Und Winter musste ihn nun den Kollegen ausliefern. Als sie das Hotelzimmer betraten, der Junge vorneweg, kamen die Beamten bewaffnet aus der Deckung. Winter sah erst ein Zucken in den schmalen Schultern; dann wirbelte der Junge herum, blickte Winter in hilflosem Unglauben ins Gesicht. Du hast mich verraten? war die unausgesprochene Frage.
    Winter hätte dem jungen Stricher gerne gesagt, dass es ihm leidtat. Doch natürlich war das unmöglich. Ohnehin musste er sofort wieder raus, das nächste Opfer suchen.
    Die Sexarbeiter auf der Alten Gasse wurden jedoch langsam misstrauisch und hielten Abstand. Es war wohl aufgefallen, dass Winter immer wieder auftauchte. Für den Rest des Nachmittags übernahm deshalb Gollmann, und Winter wurde aus seinem Job als Lockvogel entlassen.
    Er nahm sich die gewonnene Zeit, ging um die Ecke beim teuren Inder essen. Ganz allein mit einer Zeitung. Drei Gänge plus Kaffee. Die Ruhe tat ihm gut. Nach eineinhalb Stunden im Restaurant wusste Winter gar nicht mehr, warum er sich heute morgen und überhaupt die letzten Tage so deprimiert gefühlt hatte. Er widerstand sogar der Versuchung, noch bei der nahen Konstablerwache vorbeizusehen und zu überprüfen, ob sich Sara hier herumtrieb und mit wem.
    Endlich zurück im Präsidium, kam ihm auf dem Flur zum Büro eine krankhaft adipöse Frau entgegengewackelt. Obenherum war sie in einen zeltartigen türkisen Anorak gekleidet. Darunter sahen Hosen hervor, die sie im Spezialbedarf für Übergrößen erworben haben musste. Die dünnen halblangen Haare hingen ungepflegt ums Gesicht. Die Frau hielt zielstrebig auf ihn zu. «Guten Abend, Herr Winter», begann sie, «Manteufel mein Name.» Erst da klingelte es bei Winter, wo er sie schon einmal gesehen hatte.
    «Mein Mann vertritt jetzt Herrn Benedetti», fuhr sie fort. «Als Mitglied

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