Staustufe (German Edition)
Und wenn du’s genau wissen willst, ich hatte auch noch nie einen Freund.»
Selim richtete sich von der Brüstung auf, trat einen Schritt auf sie zu und nahm ihr Gesicht in beide Hände. Er sah sie lange an. Dann legte er ganz, ganz langsam seinen halboffenen Mund auf ihren.
Sara schmolz dahin. Trotz der Kälte. Sie war so glücklich.
Guido Naumann saß ihnen derart frech und selbstzufrieden gegenüber, dass Winter seine Aggressionen nur mit Mühe im Zaum halten konnte. Allerdings bestätigte das Verhalten Naumanns nur Winters ursprüngliche These, dass der Schriftsteller nichts mit dem Tod des Mainmädchens zu tun hatte.
Ein Täter konnte sich nicht so verstellen. Bei einem Einbruch oder Raub vielleicht, aber nicht bei einem Tötungsdelikt. Dafür war Winter schon zu lange bei der Mordkommission. Wer jemanden getötet hat, auf diese Weise noch dazu, ist aufgewühlt, fühlt sich in einer Ausnahmesituation, hat Angst, Schuldgefühle, ist mit sich selbst nicht im Reinen. Echte Mörder verhalten sich wie der Benedetti oder die Serdaris. Guido Naumann jedoch: Hie und da ein arrogantes Halblächeln, aber im Großen und Ganzen war da nichts als Langeweile. Und Schweigen.
Denn Guido Naumann verweigerte die Aussage. «Ich sage übrigens nichts in der Sache. Ist ja mein gutes Recht.» – Unterdrücktes Gähnen. – «Also, bevor Sie sich hier vergebens abmühen, Sie können mich auch gleich in die Zelle stecken. Dann sind Sie heute Abend früher zu Hause. – Ach ja, wenn Sie noch so freundlich wären, mir einen Block und einen Stift zur Verfügung zu stellen. Ich könnte dann in der Zelle wenigstens etwas arbeiten. Dann wäre meine Zeit hier nicht ganz vertan. Dann würde ich möglicherweise auch davon absehen, der Staatskasse einen allzu hohen Verdienstausfall in Rechnung zu stellen. Ich habe übrigens morgen eine Lesung in der Alten Oper, die ich nun wohl leider versäumen werde. Wissen Sie, wie viel Geld jemand wie ich für ein Stündchen Vorlesen erhält?»
Der Mann trieb Winter auf die Palme. Mit allen seinen bewährten Verhörkniffen brachte er nichts aus ihm raus. Das Äußerste an Reaktion war eine leichte Rötung in Naumanns Gesicht, als Winter ihm, im Vernehmungsraum hin und her streichend, ein bildreiches Szenario beschrieb, wie er, Naumann, sich an dem Mädchen vergangen habe. (Winter stellte sich übrigens in Wirklichkeit nichts dergleichen vor. Aber als er die Röte und die glänzende Feuchtigkeit auf Naumanns Gesichtshaut sah, fragte er sich doch, ob der Schriftsteller nicht die fatale letzte Begegnung des Mainmädchens gewesen war. Es wäre eine so einfache Lösung.)
Falls Naumann sich von Winters Phantasieschilderung getroffen oder verunsichert fühlte, so ließ er sich aber in seinen verbalen Reaktionen nichts davon anmerken. «Gott, Herr Polizeiobermeister», sagte er am Ende. «Interessant, was Sie für Bücher lesen. Ich schreibe glücklicherweise keine Kriminalromane. Obwohl es auch manchmal hart zugeht bei mir. Vielleicht sollten Sie bei Gelegenheit eins meiner Bücher lesen. Das würde Ihren Horizont erweitern.»
Sie blödes, arrogantes Arschloch, hätte Winter am liebsten gesagt. Doch er verkniff es sich. Naumann hätte eine solche Reaktion nur befriedigt.
Nach anderthalb Stunden vergeblicher Liebesmüh knallte Winter die Tür des Verhörraums hinter sich zu und ließ den großen Schriftsteller allein.
Die Aksoy wartete im Videoraum. Sie beide hatten sich zeitweise abgewechselt. Winter hatte geglaubt, dass vielleicht die weichgespülten Fragen einer jungen Frau etwas aus dem Mann herausbringen würden. Er war ja garantiert ein Lustmolch, das sah man ihm an. Und so schrecklich unattraktiv war die Aksoy nicht (sie machte nur nichts aus sich). Doch auch das hatte keinerlei Effekt gehabt. Und Winter hatte inzwischen einen bösen Verdacht.
«So, Frau Aksoy. Wissen Sie, was ich glaube? Der hält uns hier zum Narren. Der plant ganz gezielt, in ein paar Tagen eine Aussage zu machen. Bei der Aussage wird sich herausstellen, er war’s nicht, und er hat ein wasserdichtes Alibi. Wissen Sie, warum er jetzt schweigt? Der will ein paar Tage verhaftet bleiben. Für die Medien! Das ist ein Publicity-Stunt für den! Nichts weiter! Das haben wir nun von Ihrem Haftbefehl!» Winter war sehr laut geworden. Aksoy war zwei Schritte zurückgetreten.
«So, Herr Winter», sagte sie sehr leise nach einer Pause. «Herzlichen Dank auch, dass Sie aufgehört haben, mich anzubrüllen. Leider hat uns das nicht
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