Staustufe (German Edition)
Tischplatte und schabte an einem imaginären Stück Dreck.
«Ja», sagte sie verkrampft. «Hab halt noch auf jemanden gewartet.»
«Auf wen?»
«Mir wird das hier jetzt echt zu blöd. Ich sag nichts mehr.»
Sara hatte Tränen in den Augen.
Aksoy war unwohl zumute, als sie zurück ins Präsidium fuhr. Sie hatte Sara Winter angeboten, sie mitzunehmen und nach Hause zu bringen oder irgendwo abzusetzen. Doch sie hatte eine Abfuhr erhalten. Diese Befragung hatte sie gründlich verbockt. Und dann auch noch vorher dem Fock erzählen, sie hätte einen so guten «Zugang» zu den Jugendlichen! Einfach ganz altmodisch alle einzeln mit Eltern aufs Präsidium bestellen und vernehmen wäre sicher der erfolgreichere Weg gewesen. Und dann das Problem, dass Sara Winters Tochter war. Aber eben das war ja der Grund, warum sie das mit den Jugendlichen so unorthodox angegangen war.
Als sie im Präsidium ankam, war Winter bereits weg. Er hatte mittags schon angekündigt, heute sehr pünktlich gehen zu wollen. Er müsse in seiner Familie einiges klären, hatte er zur Begründung gesagt.
Vielleicht konnte Winter ja etwas aus Sara herausbekommen.
In ihrer Mailbox entdeckte Aksoy eine Nachricht von ihm. Er hatte sie kurz vor fünf abgeschickt.
Raten Sie mal , stand darin, von wem sich unser Freund Guido Naumann verteidigen lässt: Friedrich von Wohlzogen. Drunter macht er’s nicht.
Dr. Friedrich von Wohlzogen war ein aufstrebender Bundestagsabgeordneter, Sprecher seiner Partei in innenpolitischen Fragen und zufällig Anwalt. Womit gesichert wäre, dass die Frankfurter Polizei und Staatsanwaltschaft noch mehr ins Zentrum des öffentlichen Interesses rückten. Die Chance, im Mainmädchenfall gewisse Dinge unter Verschluss zu halten, sank rapide.
Aksoy fand noch eine Überraschung im Posteingang. Die Genetik-Resultate von den Wolldecken waren nun doch schon eingetroffen. Und sie waren positiv. Die Blutspuren und die Haare auf einer der Decken stammten vom Mainmädchen, und zwar mit 99,99-prozentiger Sicherheit. Perfekt, dachte Aksoy, wenigstens ein kleiner Erfolg. Das reichte, um Naumann vor Gericht zu stellen. Dumm nur, dass sie noch das Geständnis von Benedetti hatten.
Darüber hinaus gab es noch eine Nachricht aus der Kriminaltechnik. In der Wohnung Serdaris/Benedetti hatte man kein Blut des Mainmädchens gefunden. Sehr gut. Auch Hautschuppen und Haare aus der Wohnung hatte man genetisch untersucht. Nichts davon stimmte mit dem Mainmädchen überein. Selbst Fingerabdrücke von ihr gab es dort nicht.
Aber sie war doch da gewesen?
Aksoy stützte den Kopf in die Hände.
Alles vor ihr verschwamm.
Plötzlich fragte sie sich, ob es zwei verschiedene tote Mädchen gab. War diejenige, die Benedetti ermordet zu haben behauptete, in Wahrheit eine ganz andere als die Leiche aus dem Main?
O nein. Nun phantasierte sie wirklich. Sie war übermüdet. Sie musste nach Hause. Sie würde ein leckeres, fetttriefendes Essen bekommen, und dann würde sie ihren Kindern alberne Abenteuer aus dem Mumintal vorlesen. Und morgen würde sie klarer sehen.
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8
Es war, als würde in diesen Spätherbsttagen etwas in der Luft liegen. Ein Hauch von Verzweiflung, morbide Sehnsucht. Der Drang zu großen Gesten.
Gegen acht Uhr abends fuhr ein gutaussehender Mann um die vierzig mit einem Leasing-Wagen der Luxusklasse über das Rebstockgelände und ließ sich von seinem Navigationsgerät zur B40 lotsen. Es hatten sich Gründe ergeben, warum er zum Flughafen musste. Noch wusste er nicht, wohin er fliegen würde. Er wollte am Airport die Abflüge studieren, sich in einer der Hallen mit dem Notebook ins Netz einloggen und abklären, welches Ziel das geeignetste war. Spontan dachte er an die Cayman Islands, irgendetwas in der Richtung. Ein kleiner Staat, in dem es sich leben ließ und der kein Auslieferungsabkommen mit der Bundesrepublik Deutschland hatte.
Seine Verfehlungen würden bald auffliegen, es konnte nicht mehr lange dauern. So viel war sicher. Dabei hatte er eigentlich gar nichts getan. Nichts anderes jedenfalls als international üblich. So wie es eben lief bei Regierungsaufträgen im Irak, in Afghanistan, in den USA sowieso. Man brachte seine Scherflein ins Trockene.
Der Mann hieß Konstantin Herbold. Eigentlich war sein Vorname Volker. Aber vor Jahren schon hatte er sich umbenannt. In den Neunzigern hatte er sein Informatikstudium abgebrochen, um in einem lichtdurchfluteten Loft ein «Start-up» zu gründen. Viele glänzende
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