Staustufe (German Edition)
Prospekte über künftige Profite hatte er drucken lassen und die praktisch leere Firmenhülse rechtzeitig verkauft. Mit dem Erlös hatte er zwei Jahre später ein Telekommunikationsunternehmen gegründet, das viel Fernsehwerbung betrieb, die Werbeausgaben jedoch nur schwer wieder einspielte. Dafür profitierte das Unternehmen in den letzten Jahren von guten Beziehungen zur Politik. Herbold kultivierte Bekanntschaften in Wiesbaden. Er schaffte es, den heißumkämpften Auftrag an Land zu ziehen, die hessischen Schulen mit neuen Computern auszustatten. Die Profitmarge war eng gewesen. Sie hatten über den Preis konkurriert, hatten die Rechner natürlich selbst einkaufen müssen und eigentlich nur wegen des sinkenden Dollars nennenswert verdient. Aber die Tür war aufgestoßen. Im vorletzten Jahr dann ein Coup, wenn auch wieder nicht im Kerngeschäft: ein Entwicklungsauftrag im Wert von unglaublichen zweihundertvierzig Millionen. Name des Projekts: «NetSchool2050». Schule als Fernlehrgang übers Internet. Die Schule der Zukunft. Er selbst hatte beim Minister das Projekt angeregt und ein paar vor englischem Jargon nur so strotzende Papiere vorgelegt mit halberfundenen Geschichten über Länder wie Japan, Singapur und Norwegen, in denen solche Zukunftsvisionen schon längst Realität seien.
Natürlich hatten sie weder Softwareentwickler noch das inhaltliche Know-how, um ein solches Projekt umzusetzen. Also wurde ausgelagert. Die gesamte Lernumgebungs-Software ließen sie für zwei Milliönchen in Indien und Russland basteln. Die Inhalte kauften sie von Schulbuchverlagen oder ließen arbeitslose Privatdozenten auf Honorarbasis schuften. Der Reingewinn betrug über 220 Millionen Euro. Und durch ein bisschen kreative Buchhaltung hatte Herbold das Geld zu zwei Dritteln unversteuert in die eigene Privatschatulle umgeleitet.
Nun aber war ihm Kreppel, ein Anteilseigner, alter Freund und Mitarbeiter der ersten Stunde, auf die Schliche gekommen. Auch Kreppel hatte im letzten Jahr einen fetten Bonus erhalten. Doch er wollte mehr. Gestern hatte er Herbold aufgesucht, von kopierten Unterlagen geredet und von Zeugenaussagen, die eine russische Tochtergesellschaft als reine Briefkastenfirma entlarvten. Fünfzig Millionen hatte er gewollt. Und noch dazu angedeutet, er wisse etwas über den Tod des Kultusministers.
Der war nichts als ein tragischer Unfall gewesen. Doch wer würde Herbold das glauben, wenn er der Untreue und Steuerhinterziehung bezichtigt war? Man würde ihm nicht einmal abnehmen, dass die Beziehung zum Kultusminister erst nach dem großen Auftrag entstanden war. Sie hatten sich rein zufällig in einem Nachtclub getroffen. Herbold hatte schon immer gespürt, dass der Mann ihn sexuell interessant fand. Doch an jenem Abend, in aufgelockerter, alkoholisierter Atmosphäre, war der Familienvater mit seiner Bisexualität und einer verdrängten Vorliebe für Leder und Fesselspiele herausgerückt. Herbold konnte da behilflich sein. Eine reine Freude für beide. Bis zu dem scheußlichen Unfall letzten Freitag. Bei Würgefetischisten kam so etwas leider gelegentlich vor. Und der Kultusminister hatte es im Laufe der Monate immer extremer besorgt haben wollen.
Herbold wusste, wann man ein sinkendes Schiff verließ. Er hatte das schon damals bei seinem «Start-up» gespürt. Nun waren die Hürden höher. Aber auch die Beute. Er konnte den Rest seines Lebens in Luxus verbringen. Wenn er nur heute die Reißleine zog. Sicher, er wäre dann keine angesehene Person mehr. Eher ein Krimineller auf der Flucht. Und er würde seine Heimat nie wieder betreten können.
Ein Impuls trieb Herbold an, bei der Schwanheimer Mainbrücke an den Rand zu fahren. Ein letzter Blick auf den Main. Ein letztes Mal deutsche Herbstkühle spüren. Vielleicht sogar: ein letztes Mal Freiheit spüren. Denn woher sollte er schließlich wissen, dass man ihn beim Versuch, das Land zu verlassen, nicht verhaften würde? Oder dass er auf seine Konten wirklich noch Zugriff hatte? Kreppel hatte doch gemerkt, dass er nicht vorhatte, sich auf die Erpressung einzulassen. Ach, was hieß hier überhaupt gemerkt ? Herbold hatte es ihm ja ausdrücklich gesagt. «Zeig mich doch an, wenn du denkst, dass du was gegen mich in der Hand hast», hatte er gesagt. «Du bist dann leider deinen Job los, und deine Anteile werden zu Pennystocks. Mich stört das am wenigsten. Im schlimmsten Fall sitze ich auf den Cayman Islands und mache mir einen schönen Lenz.» Es war dumm gewesen,
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