Staustufe (German Edition)
massive Hinweise auf Blut gewesen wären, wüssten wir das schon. Es kommt jetzt alles darauf an, ob sie diesem anderen Verdächtigen was nachweisen können. Wenn nicht, werden sie aus purer Verzweiflung euch beiden am Hals hängen wie die Kletten. Deshalb, liebe Lena, habe ich ja die Akte hier.»
Lena lächelte. «Ach so. Wie du gestern gesagt hat. Du willst selber Detektiv spielen.»
«Du und ich, wir werden Detektiv spielen. Ich unterstelle dir einfach mal ein Interesse daran, deine und Ninos Unschuld zu beweisen. Ich habe zwei Kopien der Akte. Wir werden jetzt beide alles lesen. Dabei bitte genau aufpassen, ob dir irgendwas auffällt, irgendein Hinweis, irgendeine Ungereimtheit, die unsere arme überlastete Polizei übersehen hat.»
«Puh. Also gut. Dann schmiere ich jetzt noch schnell ein Brot zur Stärkung. Du willst bestimmt auch eins?»
Sonja Manteufel verzog das Gesicht.
«Danke, ich mache Diät.»
Aksoy hatte über Sara Winter ein Treffen mit der Clique von der Konstablerwache verabredet. Es gebe noch ein paar Fragen zur Person des Mainmädchens, hatte sie behauptet und über die neuesten Entwicklungen kein Wort verloren. Die jungen Leute sollten nicht auf die Idee kommen, sich vorher abzusprechen. Nach einigem Hin-und-her-Telefonieren hatte Sara ihr die elterliche Wohnung eines der Mädchen als Treffpunkt genannt.
Es war einer der neuen Wohnblocks beim Güterplatz, nicht weit vom Hauptbahnhof. Aksoy hatte sich im letzten Jahr von just diesem Haus den Prospekt schicken lassen. Sie dachte an den Kauf einer Eigentumswohnung. Aber die großen Penthousewohnungen nach Süden, auf die sie spekuliert hatte, waren zu teuer gewesen. Mit nur zwei Zimmern auf neunzig Quadratmetern waren sie außerdem nicht familiengerecht geschnitten. Wie die meisten Frankfurter Wohnungsneubauten der Innenstadt schien dieses Haus vor allem für betuchte Singles und Pärchen geplant.
«Die Klingel ist ein bisschen doof», hatte Sara gewarnt. Als Aksoy an dem großen Glasportal vor dem winzigen Bildschirm stand, an dem man sich durch eine alphabetische Namensliste klicken musste, wusste sie, warum.
Innen roch es frisch verputzt. Es ging durch grau ausgelegte Gänge und noch mehr Glastüren zu einer Wohnungstür im ersten Stock. In der engen Diele wurde Aksoy von zwei verlegen kichernden Mädchen begrüßt: Sara und eine der Älteren aus der Gruppe. Die Ältere trug einen silbernen Nasenring. Aksoy betrachtete neugierig das Wohn-Ess-Küchenensemble, in das sie geführt wurde. Die Wohnung war zwar neu, glich jedoch ansonsten aufs Haar all den Hochhauswohnungen aus den Siebzigern, die heute niemand mehr haben wollte. Bei der Deko hatte jemand einem ausgeprägten Indien-Tick nachgegeben. Es war auf jeden Fall schön bunt. Eine hohe Liege stand herum. «Meine Mutter macht hier Ayurvedamassage», erläuterte das Mädchen mit dem Nasenring, das die Gastgeberin war und sich Aksoy als Elisabeth Kuhley vorstellte. Auf einem mit Decken belegten niedrigen Sofa saß der große Junge mit den hüftlangen rostroten Haaren, den Aksoy von der Konstablerwache kannte. Ohne seinen militärischen Ledermantel sah er weit weniger beeindruckend aus.
«Die anderen kommen nicht», sagte Sara entschuldigend.
«Nö», bestätigte der Langmähnige, den Arm lässig über die Rückenlehne gelegt. «Wir haben uns voll gefetzt wegen Ihnen. Der Tim meint, wir würden jetzt wohl die IMs für die Bullen machen. Loben Sie uns mal, dass die Lilly und ich wenigstens ja gesagt haben.» Lilly war wohl Elisabeth.
«Fühlen Sie sich alle drei gelobt», erklärte Aksoy und setzte sich auf einen Stuhl am Esstisch. «Ihr Freund Tim sieht das nicht realistisch. Vielleicht kommen Sie einfach hier an den Tisch, dann können wir die Fotos besser gemeinsam ansehen. Ich habe nämlich welche. Leider keine schönen. Wie heißen Sie noch gleich?»
Der rotmähnige Riese hieß Ben Bornscheuer.
Als alle saßen, holte Aksoy ihre Mappe heraus und breitete vor sich auf dem Tisch Fotos der heute geborgenen Wasserleiche aus. Sie waren aus leicht unterschiedlichen Perspektiven aufgenommen. Doch alle zeigten nur Kopf und Gesicht.
«Scheiße. Der ist tot, ne?», stammelte Ben.
Sie hatten für die Bilder die Bläue von Gesicht und Lippen überschminkt und die Augen geöffnet. Aber man sah es trotzdem. Man sah es immer, wenn das Leben fehlte.
«Kennt jemand von Ihnen den Jungen?»
«Also, ich kenn den nich», bemerkte laut und gelangweilt Elisabeth alias Lilly mit dem Nasenring. Aksoy
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