- Steckspiele
niederkniete, hatte er erwartet, dass sie ihn ablutschen würde. Na ja, dafür würde sie später noch reichlich Zeit und Gelegenheit bekommen. Jetzt blieb sie in ihrer knienden Stellung, und er fuhr sie an: »Steh auf. Ich muss jetzt gehen.«
»Ja, Mr. Cantrell.«
Chuck blickte sie absichtlich nicht an, weil er befürchtete, dass ihn sein Gesichtsausdruck verraten könnte. »Im Empfang wird man dir die Zimmernummer sagen. Und merk’ es dir: acht Uhr.«
Dann nahm sie wieder die unverbindliche Rolle der geübten Fremdenführerin an und begleitete ihn zu dem wartenden Rolls-Royce. Androgynos hielt die Türe für ihn auf. Er ließ sich nicht anmerken, ob er Chuck wiedererkannte.
»Zum Pierre«, sagte Chuck leise.
»Ja, Sir.«
Der Wagen glitt durch den Tunnel heraus auf die Straße. Chuck lehnte sich gemütlich zurück und fing an, die ganze Situation noch einmal zu rekonstruieren. Von Anfang an. Begonnen hatte alles mit einem Telephongespräch zwischen Wanda Tredgold und Zoe. Das war vor zwei Tagen gewesen, also am Montag. Trotzdem hatte Zoe ihm erst heute morgen von dem Telephongespräch und seiner Verabredung mit Wanda Tredgold erzählt. Das war ungewöhnlich, denn Zoe traf nie Verabredungen, ohne ihn vorher zu fragen; und ganz sicher nicht, wenn es um Leute von der Bedeutung der Präsidentin von SHAPES ging.
So stieß er wieder auf die alte Frage: war es möglich, Leute per Telephon zu hypnotisieren? Er suchte seine Erinnerungen nach einer Antwort ab. In seinem Gedächtnis tauchte eine Szene auf. An einem Sommerabend war er in seinem College zu einem Vortrag gegangen. Worum ging es dabei noch einmal? »Die Macht der Sug- gestion« hatte auf den Plakaten gestanden. Das war in seinem ersten Semester. Gehalten wurde das Referat von einem seltsamen, kleinen Mann mit zerzausten Haaren und einem schäbigen Anzug. Irgendein Psychologe, der ein paar Bücher geschrieben hatte. Nach dem Vortrag hatte Chucks Studentenverbindung den Wissenschaftler noch zu einer Diskussion und ein paar Drinks eingeladen. Eine Frage beherrschte die Phantasie der Studenten: konnte man Mädchen durch Suggestion dazu bringen, sich auszuziehen und alles mit sich machen zu lassen?
Der Psychologe (Chuck konnte sich nicht mehr an seinen Namen erinnern) hatte keine direkte Antwort gegeben. »Warum nur Mädchen?« hatte er zurückgefragt und dabei nervös seine kleinen, blassen Hände hin und her bewegt. Seine Fingernägel glänzten in dem verrauchten Dämmerlicht des Raumes, und Chuck bemerkte, dass sie lackiert waren. Alle waren peinlich berührt und schwiegen, bis der kleine Mann weitersprach: »Niemand kann bewirken, dass ihr alle euch jetzt auszieht und ganz unerwartete Dinge tut – aber man kann eine Situation schaffen, in der diejenigen unter euch, die so etwas tun wollen, es auch tatsächlich tun …« Wieder allgemeines Schweigen, das dieses mal von dem Kapitän der Fußballmannschaft unterbrochen wurde: »Na, Mister, ich würde ja gerne erleben, dass Sie das auch mal beweisen. Und zwar mit Mädchen.«
Chuck beobachtete das alles mit Interesse. Als Student im ersten Semester hätte er es nicht gewagt, auch etwas zu sagen. Aber jetzt hörte er sich zu seiner eigenen Überraschung brüllen: »Warum gehen wir denn nicht alle ins Shany?« Lautstarke Zustimmung von allen Seiten. »Ja, gehen wir doch ins Shanty! Los, kommt!«
Chuck spürte eine Hand auf seiner Schulter. »Das war eine unheimlich gute Idee, Chuck«, sagte der Kapitän der Fußballmannschaft. Der Held des ganzen College hatte zum ersten mal mit ihm gesprochen, und Chuck errötete aus freudiger Verlegenheit. »Na ja, da sind doch die Mädchen«, antwortete er, und der Fußballspieler schlug ihm auf die Schulter und nickte langsam. »Da hast du verdammt recht. Da kann man immer eine Fotze finden.«
Sie quetschten den kleinen Wissenschaftler in einen Kombiwagen und fuhren alle in die benachbarte Kneipe, die in der ganzen Umgebung wegen ihres Alkohols und der nicht gerade prüden Kellnerinnen bekannt war.
Am Tisch saß Chuck dann plötzlich zwischen dem Psychologen und dem Fußballkapitän. Alle waren schon ein bisschen betrunken. »Hol’ uns eine Flasche Scotch und etwas Eis«, sagte der Fußballheld.
»Klar, Mitch, sofort«, sagte die Kellnerin, eine Blondine mit einer guten Figur in einem engen, schwarzen Kleid aus Satin. Neugierig sah sie zu dem Referenten herüber. »Wollen Sie auch Scotch?«
»Er kann von unserem mittrinken«, warf Mitch laut dazwischen. »Der Prof ist
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