Steels Ehre: Jack Steel und die Schlacht von Höchstädt 1704. Historischer Roman (German Edition)
Franzosen, Hannoveraner, Preußen, Bayern – alle lagerten im Freien. Doch hier, so dachte Steel, schien etwas anders zu sein. Denn bevor man die Zelte aufgeschlagen hatte, war die Gegend eingehend auf ihre Tauglichkeit geprüft worden, von Zivilisten, die Marlborough eigens zu diesem Zweck ausgesandt hatte. Unmittelbar dahinter folgte die Armee: Im Morgengrauen brach das Heer auf – gegen fünf Uhr oder früher – und machte mittags Halt, um die größte Hitze zu vermeiden. Schnell wurde das Lager aufgeschlagen, sodass die Nachtruhe den Männern die Illusion gab, einen ganzen Tag Rast gemacht zu haben. So kümmerte der General sich um seine Armee, dachte Steel. Er wusste auch, dass der Proviant, der nun zur Schau gestellt wurde, sorgsam zusammengesucht worden war, um das Lager einen Tag lang zu versorgen.
Dies war die neue Armee. Marlboroughs Armee. Ein Heer, das den Veteranen ein erstauntes Raunen entlockte. Denn noch nie war eine britische Armee auf fremdem Boden derart straff organisiert gewesen. Marlborough hatte diese Armee geschaffen. Aus den teilweise in Lumpen herumlaufenden Männern, die aus dem Chaos der »Glorious Revolution« hervorgegangen waren, hatte er passable Soldaten gemacht, die er durch die Irischen Kriege bis zu diesem Feldzug geführt hatte. Es stimmte, dass der Herzog immer noch seine Gegner in London hatte. Wahrscheinlich arbeiteten sie im Augenblick daran, seine Entlassung voranzutreiben. Aber hier auf dem Marsch galt »Corporal John« der Armee als Gott. Doch er war auch Soldat und Mensch, der sich mit seiner Verletzlichkeit nicht groß von allen anderen in seiner Armee unterschied. Und das mochte der Grund sein, warum die Soldaten für ihn durch dick und dünn gingen. Ja, sie waren bereit, für ihn zu sterben – den Heldentod, wenn sie Glück hatten. Deshalb marschierten sie dorthin, wo er sie haben wollte. Von Ort zu Ort und hinein ins unbekannte Land jenseits des nächsten Hügels. Auf dem Weg zum Ruhm. Und während die Frauen im Tross kochten und nähten, Geld von Hand zu Hand ging, die Kinder herumtollten und die Verwundeten starben, fragten die meisten Soldaten sich, wie lange sie sich noch darauf verlassen durften, ein wenig auszuruhen … und wie viele Tage sie noch erleben würden.
Hansams Stimme drang bis in Steels Tagträumereien. »Wie ich sehe, haben wir unsere preußischen Freunde an unserer Seite.«
Auch Steel waren die langen Marschkolonnen der eintreffenden Preußen nicht entgangen, die sich an dem britischen Feldlager vorbeischlängelten. Er sah die markanten, dunkelblauen Uniformröcke der preußischen und hannoverischen Infanterie und die hochgewachsenen Grenadiere mit ihren üppig verzierten Mützen. Dies waren also die Verbündeten, die sich Marlboroughs rot gewandetem Heer anschließen würden. Steel schätzte die Zahl der Neuankömmlinge auf einige Tausend. Es mochten zehn Bataillone sein.
»Man kommt nicht umhin, sie für ihren Stil zu bewundern, nicht wahr?«, drang Hansams Stimme wieder in Steels Bewusstsein.
Steel ließ den Blick über die preußische Infanterie schweifen, die in wohlgeordneten Reihen marschierte und den erst kürzlich eingeführten, künstlich wirkenden »Gleichschritt« zelebrierte. Daher hatte man den Eindruck, die Soldaten wären auf der Parade in Potsdam.
»Stil, Henry? Das ist kein Stil. Das ist nichts als blinder Gehorsam. Diese Burschen haben mehr Angst vor ihren Offizieren als vor den Franzosen. Zweimal die Woche werden sie wegen kleiner Delikte durchgeprügelt, sind unterernährt und überhaupt vernachlässigt. Sie marschieren zwar ganz ordentlich, und ich denke, sie werden auch zu kämpfen verstehen – aber nur auf Befehl. In Wirklichkeit sind sie nichts anderes als Musketen auf zwei Beinen.«
Steel war kein Bewunderer des preußischen Drills. Er hatte die Männer schon in der Schlacht erlebt. Hatte zugesehen, wie die blau uniformierte Masse sich unter feindlichem Beschuss Zoll um Zoll über das Schlachtfeld wälzte und bis zu den feindlichen Linien durchbrach. Aber er wollte nicht glauben, dass dies die wahre Art des Kämpfens sein sollte. Die Männer wirkten wie Automaten. Gewiss, Disziplin und Drill mussten sein. Es war die einzige Möglichkeit, die Männer davon zu überzeugen, in Reih und Glied zu bleiben und den Geschossen standzuhalten, die wie ein Sturmhagel auf sie niedergingen. Wie sollten die Männer sonst lernen, durchzuhalten, wenn nicht durch Drill und Disziplin?
Auch der Umgang mit Musketen bedurfte der
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