Steels Entscheidung: Historischer Roman (German Edition)
sich persönlich gesteckt hatte: Er hatte ein ganzes Bataillon in die Schlacht geführt. Und er hatte es genossen, als wäre er für diese Aufgabe gemacht. Wenn man es genau bedachte, hatte er sogar eine Brigade befehligt, da seinem Plan drei Bataillone angehörten. Zu den Preußen hatte er wie immer Vertrauen, aber er wusste nicht, wie es den Niederländern auf der anderen Seite ergangen war. Hatten sie größere Verluste erlitten?
Er fragte sich, ob er je wieder eine solche Gelegenheit erhalten würde. Wäre es zu verwegen, wenn er sich ausmalte, eines Tages Colonel Steel zu sein? Nach wie vor blieb die Zukunft für ihn im Dunkeln, und der Verlauf der letzten Tage hatte ihn nur noch weiter verwirrt, zumindest, was das eigene Leben betraf. Einerseits verspürte er den Kitzel des Gefechts, und nichts konnte mit dem Hochgefühl wetteifern, das sich bei einer siegreichen Schlacht einstellte. Andererseits hatte er immer noch nichts von Marlborough oder Hawkins gehört, was die Mission in Paris anbelangte.
Doch Steel vermutete, dass er nicht in der Gunst des Oberbefehlshabers gesunken sein konnte, da man ihm das Kommando über das zusammengelegte Grenadierbataillon übertragen hatte.
Er ging durch den Wald und plauderte hier und da mit einem der Männer. Tarling war getroffen worden und hatte einen Finger eingebüßt, allerdings an der linken Hand, die beim Schießen nicht so wichtig war wie die rechte. Tarling würde wieder kämpfen können. Andere hatten Querschläger abbekommen; ein Mann hatte einen Holzsplitter im Bein, da französische Kugeln einen Baum zerfetzt hatten. Doch alles in allem waren seine Männer gut aufgelegt und genossen das Gefühl, noch am Leben zu sein – ein Gefühl, das sich nach jedem Gefecht einstellte.
Kurz darauf stieß er auf Slaughter, der über einem der Toten stand.
»Wie sehen unsere Verluste aus, Sergeant?«
»Nun, Sir, ich schätze, der General wird an die neunhundert Mann verloren haben. Was uns betrifft, so hat unser Bataillon dreißig Mann verloren, verwundet oder vermisst.«
»Und unsere Kompanie?«
»Vier Tote und sechs Verletzte, Sir, von denen einer die Nacht wohl nicht überleben wird.«
»Wer sind die Toten?«
»Connolly, Sir. Dann Patterson und der junge Wilson.«
Rekruten allesamt.
»Ein Jammer, Sergeant.«
»Aye, Sir.«
»Ihr hattet den Jungen gern, oder?«
»Hört sich ’n bisschen übertrieben an, gern haben, Sir. Aber er hatte das Zeug zu einem guten Soldaten, der Bursche. Ein Jammer.«
Weiter hinten gingen die englischen Dragoner immer noch ihrem grässlichen Geschäft nach, und in der Dunkelheit hallten sporadische Musketenschüsse und die Schreie der Verwundeten wider. Zu Steels Rechten spielte eine preußische Kapelle auf: Ein Siegesmarsch erklang. Und in der Mitte des Schlachtfelds standen die Männer eines niederländischen Regiments und sangen einen Psalm.
Steel nahm seinen Hut ab und kratzte sich am Kopf. Mit der flachen Hand wischte er sich das Pulver rund um die Augen fort. »Ich habe es vielleicht schon einmal gesagt, Jacob, und womöglich werdet Ihr’s auch noch mal von mir hören, aber es gibt wohl kaum einen seltsameren Ort auf Erden als ein Schlachtfeld.« Die Stimmen der Psalm-Sänger steigerten sich in ein Crescendo, und Steel verzog den Mund und schüttelte den Kopf. »Dieses Gejaule konnte ich noch nie leiden.«
Slaughter spähte in die Dunkelheit. »Denkt Ihr, der Konvoi hatte noch mehr als Pulver an Bord? Ich hab ’nen furchtbaren Durst.«
Steel lachte. »Das geht nicht nur Euch so, Jacob. Aber jetzt wird wohl nichts draus. Ein Marsch von drei Tagen zurück nach Lille. Kommt. Gehen wir zu unseren Männern.«
13.
Als Offizier hatte es immer schon zu Steels Grundsätzen gehört, alle Mühen und Entbehrungen mit seinen Männern zu teilen. Wenn sie als Kompanie einen Sieg feierten, dann gebot es die Pflicht, auch in harten Zeiten zusammenzustehen. Und dieser Tag würde ihnen wieder einmal nichts als Widrigkeiten bescheren. Steel stand neben Slaughter in einem der vorderen Gräben vor den Befestigungsanlagen von Lille. Es war kurz nach Mittag, und der Feind hatte soeben mit seinem morgendlichen Dauerbeschuss aufgehört. Seit Wochen nutzten die Männer die Feuerpause zum Essen, und so starrten Slaughter und Steel trübsinnig auf den Boden eines kleinen Kessels.
Der Sergeant war ungewöhnlich erregt. »Seht Ihr, was ich meine, Sir? Wie soll man von den Jungs erwarten, dass die das da essen? Das frag ich Euch. Wir haben nichts
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