Steels Entscheidung: Historischer Roman (German Edition)
geworden, die Franzosen zur Kapitulation oder zumindest zum Waffenstillstand zu zwingen?
Steel glaubte, ein Recht auf eine Antwort zu haben. Früher hätte er die Sache vielleicht auf sich beruhen lassen, aber seit der Hochzeit mit Henrietta spürte er, dass er sich verändert hatte. Seine Einstellung zum Leben hatte sich geändert. Früher hatte er sich nicht groß um die eigene Zukunft geschert, hatte quasi in den Tag hinein gelebt und die Dinge so akzeptiert, wie sie kamen. Um seine Männer hatte er sich zwar stets gekümmert, aber um sich selbst?
Doch jetzt erschien ihm die Zukunft wichtig. In seinem Kopf schwirrten neue und nie für möglich gehaltene Pläne herum.
Die drängendste Frage war vielleicht, ob er immer Soldat bleiben wollte. Das Leben an Henriettas Seite – auch wenn sie oft lange getrennt waren – hatte ihm gezeigt, dass die Welt um ihn herum auch noch ganz andere Seiten hatte. Neue Möglichkeiten taten sich auf. Aber ehe er sich auf einen Kurs in seinem Leben festlegen wollte, musste er in Erfahrung bringen, welche Wendung dieser Krieg nahm. Außerdem gab es noch viele offene Fragen, die mit der Mission in Paris zu tun hatten. Was war aus Simpson geworden? Welches Schicksal mochte einen Mann wie Major Charpentier ereilt haben? Dann war da noch sein Bruder, von dem seine Vorgesetzten natürlich nichts wissen konnten – es sei denn, Simpson hatte etwas durchblicken lassen.
Steel fragte sich, ob die Franzosen herausgefunden hatten, dass Alexander ihm bei der Flucht geholfen hatte. Insbesondere Malbec. Wenn Alexander tot war, traf Steel die Schuld am Tod des Bruders, und allein dafür würde er Satisfaktion verlangen. Aber da war noch mehr – er brannte geradezu darauf, endlich Gelegenheit zu haben, die alte Rechnung mit Malbec und der Marquise zu begleichen. Eins war Steel klar: Was auch immer seinem Leben mit Henrietta beschieden sein mochte, zuvor würde er nicht eher ruhen, bis der französische Major und die Marquise tot waren.
»O’Brien.«
Steels Diener kam angelaufen, ein junger Ire, der erst seit Kurzem zu Farquharsons Regiment versetzt worden war, da man die alte Einheit wegen zu hoher Verluste und des Todes ihres Colonels aufgelöst hatte. O’Brien schien ein eifriger Junge zu sein. Steel hatte ihn erst nach dem letzten Gefecht eingestellt, da sein alter Bursche verwundet worden war.
»O’Brien, mein Pferd. Ich habe eine Verabredung mit dem Oberbefehlshaber.«
Während Steel den Belagerungsgraben hinter sich ließ und in Richtung der Kommandozelte und Fuhrwerke trabte, ergriffen widerstreitende Gefühle von ihm Besitz. Als er die Böschung des Feldherrenhügels hinaufritt, spürte er, wie sehr es bereits in ihm brodelte. Er hielt sein Pferd an und gönnte sich eine kleine Pause, da er sich seiner Gefühlslage sehr wohl bewusst war. Es hatte keinen Zweck, ein Gespräch mit dem Oberbefehlshaber zu suchen, solange er derart aufgewühlt war. Jetzt war Umsicht gefragt, keine offene Entrüstung. Er musste seine Argumente schlüssig vortragen. Unbotmäßiges Verhalten war nie Steels Art gewesen, und ein unüberlegter Auftritt war seiner Sache wenig zweckdienlich.
Er wendete das Pferd, sodass er von der Anhöhe hinunterblicken konnte. Das Pferd war verlässlich und gesund, konnte indes nicht mit Meg mithalten, seiner kastanienbraunen Stute, die er in Paris verloren hatte. Doch im Augenblick wunderte er sich, wie es überhaupt dazu hatte kommen können, dass er sich an das Vertraute klammerte und die Dinge von vornherein ablehnte, die von der täglichen Routine abwichen. Dabei hasste er im Grunde seines Herzens die immer gleichen Abläufe bei der Schreibarbeit der Kompanie.
Wie war es zu diesem Wandel gekommen? Vermutlich lag es daran, dass das eigene Leben von einem Moment auf den nächsten ausgelöscht werden konnte. Vertraute Gesichter und einfache Rituale verliehen einem Sicherheit. Denn so lief das große Getriebe der Armee: Man gewöhnte sich an den täglichen Trott, die Routine, damit man immer noch ein Gerüst hatte, an dem man Halt fand, selbst wenn die Welt um einen herum aus den Fugen geriet und die Freunde von Kartätschen zerfetzt wurden.
Als er jetzt auf die Belagerungsgräben blickte, spürte Steel, dass seine Gedanken der Realität entsprachen.
Vom Feldherrenhügel aus hatte man den Eindruck, dass Ameisen ihre Kolonien gegraben hatten und nun ihren täglichen Aufgaben nachgingen. Die Felder – oder was davon übrig war – waren kreuzweise von Gräben und Furchen
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