Steels Entscheidung: Historischer Roman (German Edition)
kann sie sehen.«
»Ruhe jetzt!«, zischte Steel. »Ich will von keinem mehr was hören.«
Es war gegen fünf Uhr. Der Abend brach an, und es war offensichtlich, dass die Franzosen, nachdem sie ihren Beschuss für nahezu drei Stunden aufrechterhalten hatten, jetzt darauf brannten, den Schrecken auszunutzen, in den sie die schwer angeschlagenen Alliierten versetzt hatten.
Steel flüsterte Williams zu: »Gebt das an die Männer weiter, Tom. Kein Laut mehr, bis ich das Kommando gebe. Ich will nichts mehr hören.«
In der anbrechenden Abenddämmerung rückten die Franzosen heran, zuerst die Wallonen, die in ihren hellen Uniformen wie geisterhafte Gestalten wirkten. Die Musketen zeigten voraus, als die Männer auf einen Feind zuhielten, den sie nach dem Beschuss für hoffnungslos demoralisiert hielten. Trommelwirbel schallten herüber, und langsam schoben sich die Linien der Infanterie, hier und da durchsetzt von Fahnenträgern, an den Waldgebieten vorbei. Aber Steel wartete. Er wartete, bis der Feind fünfzig, vierzig und zuletzt nur noch dreißig Yards von den alliierten Linien entfernt war. Bis die vordersten Soldaten längst an ihm vorbeimarschiert waren.
Dann richtete er sich auf und spähte in das Halbdunkel. Endlich gellte sein Befehl entlang der Verstecke. »Jetzt, Jungs! Auf mit euch, Grenadiere! Anlegen! Feuer!«
Wie aus einem Guss feuerten dreihundert Musketen zeitgleich aus beiden Waldrändern in die ungeschützten Flanken der Franzosen.
»Weiter, Männer!«, schrie Steel. »Stopft ihnen das Maul. Nachladen. Anlegen! Feuer!«
Erneut krachten die Musketen. Der dichte weiße Pulverqualm machte die Ebene im abnehmenden Licht des Tages noch unübersichtlicher. Aber die Grenadiere brauchten auch nicht viel zu sehen. Die Entsetzensschreie der Franzosen sprachen für sich.
Im Aufflammen der Gewehrmündungen konnte Steel einen Blick auf den Feind erhaschen. Eine Reihe nach der anderen wälzte sich die Infanterie vorwärts, da von hinten Kavallerie nachdrängte. Der Trichter zwischen den beiden Waldgebieten hatte sich in einen Haufen Toter und Sterbender verwandelt.
Die Franzosen hatten vollkommen die Orientierung verloren, waren sie doch in ein mörderisches Kreuzfeuer geraten, und die Schützen auf beiden Seiten des Waldgürtels blieben unsichtbar. Die Salven wurden wie von Geisterhand aus dem Nichts abgefeuert. Panik brach aus. Steel konnte beobachten, wie Männer sich voller Entsetzen in alle Richtungen drehten und schließlich tödlich getroffen zu Boden sanken. Wie eine ansteckende Krankheit sprang die Furcht dann auf den nächsten Kameraden über, bis bald das ganze Bataillon auf der Flucht war, dann das nächste. Waffen wurden achtlos weggeworfen, Tornister glitten bei der Flucht vor den unerbittlichen Musketenkugeln vom Rücken.
Geräusche von links erregten Steels Aufmerksamkeit in all dem Durcheinander. Noch ehe er etwas sehen konnte, hörte er das charakteristische Klirren von Harnischen, das dem geübten Ohr das Herannahen von Kavallerie ankündigte. Die Reiter kamen im Rücken der Alliierten. Einen furchtbaren Moment lang durchzuckte Steel der Gedanke, es könnte de la Motte gelungen sein, mit der Kavallerie einen weiten Bogen zu schlagen oder gar durch den Wald zu kommen. Doch dann erkannte er die Standarte eines Regiments englischer Reiter und wusste, dass dort nicht der Feind kam. Es war Verstärkung, die Marlborough aus den Reihen der Hauptarmee entsandt hatte.
Der Sieg gehörte den Alliierten. Jubelrufe schallten über die Köpfe der alliierten Infanterie hinweg, und im nächsten Augenblick sausten die Säbel der Engländer immer wieder auf die Männer in den weißen Uniformen nieder. Der französische Rückzug verwandelte sich in eine chaotische Flucht.
An der Spitze der Reiter erspähte Steel die Gestalt Cadogans. Er fragte sich, welchem General Marlborough denn nun den Sieg zuschreiben würde: Seinem Freund William Cadogan oder Webb, der im Verdacht stand, den Jakobiten nahezustehen?
Eins stand für Steel fest. Wieder einmal hatte die Infanterie des Herzogs ihre Schlagkraft unter Beweis gestellt. Sie hatten dem Beschuss der Artillerie standgehalten, und die Preußen und Hannoveraner hatten sich die niederländische und britische Art des Peloton-Feuerns angeeignet, was in erheblichem Maße zum Sieg beigetragen hatte. Aber vor allem die Grenadiere waren am Triumph beteiligt. Es war eine Lektion in der Kunst der Kriegsführung gewesen.
Steel hatte vor allem ein Ziel erreicht, das er
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