Steels Entscheidung: Historischer Roman (German Edition)
durchzogen. Steel sah die aufgeworfenen Erdwälle und die parallel dazu verlaufenden Gräben, die sich wie Gürtel um die belagerte Stadt zogen und von der Form her die Ausläufer der Festungsabschnitte abbildeten. Die Gräben waren untereinander mit schmaleren Abschnitten verbunden, um sicherzustellen, dass die Männer nicht ins Kreuzfeuer gerieten, sobald ein Graben vom Feind erobert wurde.
Überall sah Steel die Männer eifrig bei der Arbeit. Soldaten füllten Erde und Steine in neue Gabionen, Offiziere inspizierten Kanonen, Infanteristen unterzogen sich dem täglichen Drill, und inmitten all dieser Bewegung kamen die anderen, namenlosen Menschen aus dem Tross der Armee ihren täglichen Aufgaben nach – Handwerker, Küchengehilfen, Waschfrauen. Steel glaubte, dass man diese fein abgestimmten Abläufe in dieser Form wohl nur in Marlboroughs Armee zu Gesicht bekam. Der Belagerungsring bot einen eindrucksvollen Anblick.
Dies hier war die Summe dessen, was der Herzog erreicht hatte. Hier zeigte sich die Fähigkeit seiner Leute, gemeinsam etwas zu schaffen, schnell und effizient, um sich der Macht und den Streitkräften Frankreichs mit nie dagewesener Professionalität entgegenzustemmen. Auf diese Weise gelang es dem Herzog, eine Schlacht nach der anderen zu gewinnen. Und daher, so hoffte Steel, würde auch Lille früher oder später fallen.
Doch so stolz er auch war, seine augenblickliche Gefühlslage änderte sich dadurch nicht. Denn weiterhin beschäftigte es ihn gedanklich, warum der Oberbefehlshaber sich nicht mehr für die Belange seiner Offiziere und die Versorgung der Truppe zu interessieren schien.
Als er die Zeltreihen im alliierten Hauptquartier erreichte, war das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, stärker denn je.
Langsam näherte Steel sich der breiten, blau-weiß gestreiften Markise, vor der ein Union Jack wehte, die Nationalflagge des Vereinigten Königreichs. Steel hatte das Hauptquartier des Herzogs erreicht. Er stieg ab und band das Pferd am dafür vorgesehenen Geländer an. Zu Fuß schritt er auf den Zelteingang zu. Zwei Wachsoldaten salutierten, versperrten Steel jedoch den Eingang.
»Wer ist der wachhabende Offizier?«, verlangte Steel ungerührt.
Kurz darauf eilte ein Lieutenant aus einem kleinen weißen Zelt, das unmittelbar neben dem Zelt des Oberbefehlshabers aufgeschlagen worden war, und setzte sich schnell noch den Hut richtig auf. Aus dem Innern des großen Zelts schallte Lachen, und Gläser klirrten. Der Lieutenant stellte sich neben einen der Wachsoldaten, die ihre Musketen hatten sinken lassen.
»Was ist hier los, Sergeant Baker?«
»Dieser Offizier hier, Sir. Er wünscht Euch zu sprechen, Sir.«
Der junge Mann straffte die Schultern, sah Steels Rangabzeichen und deutete eine Verbeugung an. »Lieutenant Trevenning, Sir. Foot Guards Ihrer Majestät. Dürfte ich erfahren, was Euch zu uns führt, Captain …?«
»Steel, Lieutenant. Captain Jack Steel, Farquharsons Regiment. Ich muss den Oberbefehlshaber in einer dringlichen Angelegenheit sprechen.«
Dem Lieutenant schien Steels Name geläufig zu sein, denn er musterte ihn aufmerksam, machte aber keine Anstalten, ihn anzumelden. »Dürfte ich erfahren, in welcher Angelegenheit Ihr den Herzog zu sprechen wünscht, Sir?«
»Nein, das dürft Ihr nicht, Lieutenant. Richtet Seiner Hoheit lediglich aus, dass Captain Jack Steel um ein Gespräch bittet. Sollte Euch das aus irgendwelchen Gründen nicht möglich sein, macht Ihr Euch bitte auf die Suche nach Colonel Hawkins. Überhaupt solltet Ihr meine Anwesenheit dem Colonel melden.«
Der junge Offizier war sichtlich verärgert. Held hin oder her, Steels Auftreten war beinahe unerträglich. Außerdem stand Trevenning als Lieutenant der Guards vom Rang her genauso hoch wie jeder Captain eines Linienregiments. Trevenning erkannte aber auch – nach allem, was er über diesen Captain gehört hatte –, dass es unklug wäre, sich einem Mann wie Steel in einer eher unbedeutenden Sache in den Weg zu stellen. Deshalb lächelte er verbindlich.
»Ich werde mich auf den Weg machen und mich erkundigen, Captain, aber macht Euch keine allzu großen Hoffnungen. Der Oberbefehlshaber ist ein viel beschäftigter Mann und kann sich nicht auf das unangekündigte Auftauchen eines Feldoffiziers einstellen. Wartet bitte hier, Captain Steel. Ich bin gleich zurück.« Er nickte den Wachsoldaten zu, ein Auge auf den Besucher zu haben, und betrat das gestreifte Zelt. Als er Augenblicke später wieder ins
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