Steels Entscheidung: Historischer Roman (German Edition)
größere Überraschung. Während Argyles Brigade weiter vorrückte, strömte aus französischer Sicht von links, von der Anhöhe des Boser Couter, Bataillon um Bataillon grau uniformierter Infanterie, an den Flanken geschützt von Kavallerie in schwarzen Kürassen. Es waren dänische und niederländische Einheiten sowie skandinavische Kavalleristen unter Führung von Claude-Frédéric t’Serclaes, dem Grafen Tilly, sowie sechzehn niederländische Bataillone, die dem schwedischen Grafen Oxenstierna unterstanden. Auf Marlboroughs Geheiß und unter dem Kommando des jungen Prinzen von Oranien, der in seine erste Schlacht zog, hatten die Reiter den Boser Couter unbemerkt an der Südwestspitze umrundet.
Die Franzosen sahen die Kavallerie zu spät kommen. Inzwischen war es acht Uhr, und während die Kavalleristen ihre Pferde die vom Regen rutschige Anhöhe hinablenkten und sich bemühten, die Formation aufrechtzuerhalten, stellte der Prinz von Oranien zu seiner Freude fest, dass seine Männer sich der ungeschützten Flanke und der Rückseite der gesamten französischen Armee näherten.
Doch Steel konnte sich nicht auf den absehbaren Triumph der alliierten Reiter einlassen, denn sein Augenmerk lag allein auf dem Anblick, der sich ihm voraus bot: Eine lange Linie feindlicher Infanterie, die Musketen im Anschlag. Als die Briten auf siebzig Schritte herangekommen waren, eröffneten die Franzosen das Feuer auf Farquharsons Bataillon. Eine Kugel traf Lieutenant James Mowbray am rechten Kiefer und trat aus der linken Wange wieder aus; sein halbes Gesicht war verunstaltet. Als der junge Offizier vom Pferd fiel, galten seine letzten Gedanken nicht dem Schmerz, dem er sich ausgesetzt sah – er stand zu sehr unter Schock, als dass er den Schmerz gefühlt hätte –, sondern den Kosten, die er würde aufwenden müssen, um sich vom Hofschneider einen neuen Uniformrock anfertigen zu lassen.
Die Salve riss noch etwa vierzig weitere Männer des Bataillons zu Boden. Nicht alle waren tot, einige bloß leicht verwundet; dennoch hielten die Offiziere der Kompanien die Männer lautstark dazu an, die Formation zu halten. Derweil bemühten die Sergeants sich, die Lücken zu schließen, und trieben die unwilligen Soldaten hart mit ihren Piken in den Hagel aus Blei.
Steel, wie immer an der Spitze der Grenadiere, spürte einen Stich an der Wade und sah, dass eine Kugel ihm das Leder des Stiefels weggerissen und die Haut gestreift hatte. Er fluchte vernehmlich; nicht, weil er getroffen war, sondern weil er sich im ersten Moment fragte, wo er in einem Landstrich wie Flandern ein neues Paar Stiefel herbekommen sollte, das so bequem saß wie das alte. Diese Stiefel hatten ihn den Rhein entlang bis nach Höchstädt gebracht und später durch den Schlamm von Ramillies. Verflucht sei dieses offene Feuer in der Schlacht, dachte er. Aber wer A sagt, musste auch B sagen. Die nächste Salve könnte die Franzosen zwar weiter dezimieren, aber dann wären immer noch Gegner hinter den Reihen. Dieser Hügel konnte nur im Kampf Mann gegen Mann erobert werden.
Steel drehte sich um und rief: »Vorwärts, Grenadiere! Stürmt! Mir nach!«
Schon verfielen die Soldaten in den Laufschritt bei einer Attacke. Steel spürte die gewaltige Masse der Männer, die sich hinter ihm in Bewegung setzten. Immer noch hatten sie eine Entfernung von dreißig Schritten zu überwinden, und die Franzosen luden schnell nach.
Zu schnell.
Noch zwanzig Schritte, noch zehn … und dann stürmten sie in dem Moment in die Reihen der Gegner, als die feindlichen Musketen krachten. Steels unmittelbarer Gegner war kleiner als er, hatte einen dunklen Teint und einen Schnauzbart; dazu dunkles Haar und einen kleinen Ohrring. Der Mann stürzte sich auf Steel, doch der Brite trieb ihm die Klinge tief in die Brust. Der Zeigefinger des Franzosen krampfte sich um den Abzug des Gewehrs, worauf der Schuss sich auf Höhe von Steels Ohr löste: Einen Moment lang glaubte Steel, taub zu sein.
Entlang der Angriffslinie spielten sich ähnliche Szenen ab. Die meisten Grenadiere hatten sich im letzten Augenblick auf den Gegner stürzen können und waren dadurch dem Kugelhagel entronnen. Diejenigen, die nicht schnell genug gewesen waren, bekamen die feindlichen Geschosse aus nächster Nähe zu spüren und wurden von der Wucht zu Boden gerissen. Das aufblitzende Mündungsfeuer versengte den Uniformstoff und die Haut der Männer.
Steel zog seine Klinge aus dem Torso des Toten und stürmte weiter in die zweite
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