Steels Entscheidung: Historischer Roman (German Edition)
von ihren Reizen ablenken und war bereits spät dran für seine Verabredung mit dem Oberbefehlshaber.
»So, fertig.« Henrietta trat einen Schritt zurück, wie eine Künstlerin, die ihr neuestes Werk in Augenschein nahm, richtete das Halstuch ein letztes Mal und sorgte auf diese Weise dafür, dass Steel erneut ihre körperlichen Vorzüge genießen konnte.
Er schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, Henrietta. Du weißt, dass ich losmuss.«
Sie zog einen Schmollmund und streckte ihm teils spielerisch, teils verärgert die Zunge heraus.
Derweil war Steel schon an der Tür, öffnete sie und rief den Gang hinunter nach seinem Bediensteten. »Sykes. Mein Pferd.«
Dann schloss er die Tür wieder, trat zu seiner Frau und nahm sie kurz in den Arm. »Ich glaube nicht, dass der Herzog mich lange aufhalten wird. Dann haben wir den ganzen Tag für uns, meine Liebe.«
»Den ganzen Tag? Bist du sicher? Du weißt, wie viel Zeit du mit deinen Männern verbringst, Jack, und wie wenig Zeit mit mir.« Die Stirn gefurcht, ging sie zum Bett, griff nach dem Morgenumhang und legte ihn sich um die Schultern. »Oh, wie ich diesen Ort hasse.«
»Solltest du in diesem Fall nicht darüber nachdenken, wieder nach Brüssel zu fahren? Oder besser nach Antwerpen oder Ostende. Dir ist doch klar, dass es nicht mein Vorschlag war, dass du hierhergekommen bist.«
»Ich weiß. Und allmählich bedauere ich meine Entscheidung und frage mich, weshalb ich die Fahrt hierher überhaupt unternommen habe.« Sie wandte sich halb von ihm ab, doch er ahnte, dass sie ihren Missmut nur vortäuschte. Sie wollte ihn erneut auf die Probe stellen.
Steel legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Ich verspreche dir, dass ich mich beeilen werde. Nur für dich. Dann können wir zumindest heute Abend zusammen essen.«
Sie wandte sich ihm wieder zu. »Mir geht es nicht ums Dinner, Jack. Ich will dich.«
»Du kannst mich ja auch haben, Liebling. Sobald ich den Herzog gesprochen habe. Nun zieh dich an. Ich weiß, dass die Köchin unten ein Dutzend Austern für dich zur Seite gelegt hat. Ich komme zu dir zurück, so schnell ich kann.«
Im nächsten Moment hatte er das Zimmer verlassen und zog rasch die Tür hinter sich zu, weil er befürchtete, seine Aufgabe zu vernachlässigen, wenn er noch einmal in die Augen seiner Frau schaute. Über die dunkle Stiege des alten Hauses begab er sich nach unten.
Zweifellos gehörte er zu den glücklichsten Menschen auf der Welt. Er hatte wieder eine Schlacht überlebt, führte als Captain eine Kompanie erstklassiger Grenadiere und war Ehemann der anmutigsten und hingebungsvollsten Frau, die man sich nur wünschen konnte.
***
In der wenig einladenden Schlafkammer saß Henrietta auf der Bettkante und zog sich einen Seidenstrumpf an. Natürlich hatte sie in dem Moment aufgehört zu schmollen, als Steel den Raum verlassen hatte. Es machte ihr nicht viel aus, dass er fort war. Jack würde bald zurück sein, und dann bliebe ihnen noch genügend Zeit, um den Rest des Tages gemeinsam zu verbringen. Auch wenn sich dafür nur noch der Abend anbot. Was sollten sie in dieser stinkenden Absteige auch anderes tun, als sich zu lieben und Mahlzeiten zu bestellen? Gewiss, sie war weder den fleischlichen Genüssen noch den Gaumenfreuden abgeneigt, und mit Jack war das Liebesspiel genauso gut, wenn nicht gar besser, als mit den früheren Liebhabern. Aber das genügte nicht. Henrietta sehnte sich nach dem gesellschaftlichen Leben. Nach der Möglichkeit, Geschäfte zu besuchen, in denen schöne Dinge angeboten wurden, nach denen sie sich fast so sehr sehnte wie nach Jacks Körper. Vielleicht sogar noch mehr.
Sie lächelte. Vielleicht würde sie doch bald nach Brüssel zurückkehren. Der Tross eines Feldzuges war sterbenslangweilig. Die ganze Armee bot nichts als Langeweile – aber das hätte sie in Jacks Anwesenheit niemals zugegeben. Es kam ihr so vor, als sei er unentwegt im Dienst; ständig war er mit den Männern seiner Kompanie beschäftigt, wenn auch oft nur gedanklich. Beinahe hatte man den Eindruck, die Soldaten seien wie Kinder, die ständig etwas von ihren Offizieren verlangten. Wiederholt hatte Henrietta sich gefragt, wie dieser Haufen überhaupt eine Schlacht überstehen konnte.
Ja, Jack hatte sehr wenig Zeit für sie. In Brüssel hatte sie zumindest die Gesellschaft anderer Offiziersgattinnen – nun, viele waren es nicht. Mrs. Melville, die Gemahlin des Kommandeurs der 4. Kompanie und wohl die einzige Frau, die beim Bataillon war,
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