Steels Entscheidung: Historischer Roman (German Edition)
ihnen schienen eingeschlafen zu sein. Steel überlegte nur einen Moment lang, ehe er sich voller Ungeduld an den kleinen Mann wandte: »Nein, Captain, ich habe nicht die Absicht, dort drüben Platz zu nehmen und darauf zu warten, dass kleingeistige Bürokraten wie Ihr mit der Arbeit nachkommt! Ich bin hier, weil der Oberbefehlshaber mich sprechen will.«
Mit diesen Worten ließ er den Angestellten einfach stehen und hielt auf die Treppe zu, doch es dauerte nicht lange, da versperrten ihm zwei Sergeants der Foot Guards den Weg. Die Männer waren beide ungefähr so groß wie er, stämmig und zudem mit Halbpiken bewaffnet. Reflexartig schnellte Steels Hand zum Degen, doch als seine Finger den Knauf umschlossen, spürte er eine andere Hand auf der seinen, die ihn zurückhielt.
»Jack Steel. Aha, da seid Ihr ja endlich. Ihr solltet mir besser gleich folgen. Den Herzog lässt man nicht warten.«
Steel wirbelte herum und blickte in das ihm vertraute, gerötete Gesicht von Colonel James Hawkins, der seit Jahren sein Fürsprecher war und ihm den Kontakt zum Generalstab ermöglichte. Hawkins gehörte zu den engsten Beratern des Herzogs und galt als kluger, erfahrener Soldat, der aufgrund seines Instinkts und klaren Verstandes in erheblichem Maße zu Marlboroughs Siegen beigetragen hatte. Hawkins war es auch gewesen, der im Laufe der letzten vier Jahre Steels Beförderung vorangetrieben hatte, indem er ihn in den Dienst des Herzogs gestellt hatte.
Hawkins zwängte sich an den beiden Wachen vorbei, die vor dem Colonel salutierten, und geleitete Steel die Marmortreppe hinauf.
»Wir haben uns schon gefragt, was Euch widerfahren ist. Erzählt mir nicht, diese verbohrten Kleingeister dort unten haben Euch aufgehalten. Ich werde sie alle vorladen. Seht Ihr, das ist die unausweichliche Folge der Reformen des Herzogs. Einerseits verfügen wir über eine Armee aus professionellen Soldaten, geführt von erfahrenen Offizieren. Alle sind gut ausgebildet, gut ausgerüstet und ausreichend ernährt. Die Herren, mit denen Ihr es eben zu tun hattet, sind mit ein Grund, warum die Armee so ist, wie sie ist: Diese Männer agieren im Hintergrund und haben einzig und allein dafür zu sorgen, dass auch alle großartigen Ideen des Herzogs in die Tat umgesetzt werden. Leider sind die Herren oftmals zu effizient für unsereins.«
Steel lächelte. »Die Schuld liegt nicht allein bei den Herren, Colonel. Ich muss gestehen, dass ich ein wenig zu spät kam.«
Hawkins verzog den Mund zu einem Lächeln. »Immer ganz der Diplomat, Jack. Aber keine Sorge. Freut mich, Euch wiederzusehen, mein Junge. Euch geht es hoffentlich gut?«
»So gut, wie ich es mir nur wünschen kann, Sir.«
Hawkins klopfte ihm auf die Schulter. »Stets ein Mann der Untertreibung. Eine Eurer liebenswertesten Eigenschaften, Jack. Von Eurer Bescheidenheit einmal abgesehen. Das und Eure Durchtriebenheit, nicht wahr, Jack? Und wie geht es der entzückenden Gemahlin?«
»Es geht ihr ganz gut, Sir.«
Hawkins brach in ein Prusten aus. »Das sieht Euch wieder mal ähnlich. Diesem Mädchen ging es nie einfach nur ›ganz gut‹, Jack, und das wisst Ihr. Sie hat etwas Strahlendes. Und Prachtvolles. Und ich wette, dass Ihr alle Mühe hattet, Euch von ihrem Liebreiz loszureißen, um noch rechtzeitig zu Seiner Hoheit zu kommen. Und wer könnte es Euch verübeln? Ihr glücklicher Teufel. Ah, da sind wir ja schon.«
Er öffnete eine Tür und gab Steel mit einer Geste zu verstehen, in einen Raum zu treten, der mit Holz vertäfelt war. Die Gemälde an den Wänden zeigten Bauern bei der Landarbeit und schienen Gegenden in Flandern darzustellen. Hinter einem großen Pult aus teilweise vergoldeter Bronze in der Mitte des Raumes saß der Herzog von Marlborough. Zu seiner Rechten und Linken standen gefeierte Generäle der alliierten Armee. Steel erblickte Lord Orkney, William Cadogan und eine Reihe anderer Heerführer. Ihm fiel auf, dass nur britische Offiziere anwesend waren; die Niederländer glänzten durch Abwesenheit.
Zu Hawkins gewandt, sagte er: »Sollte ich nicht doch besser einen Augenblick draußen warten, Sir?«
»Nein, bleibt hier. Der Herzog erwartet Euch. Er wird es Euch nicht verübeln. Ich weiß, dass Ihr in seinen Plänen vorkommt.«
Marlborough erhob sich in diesem Augenblick, schien die Neuankömmlinge aber noch nicht wahrgenommen zu haben und blickte auf die Karte, die auf der ledergepolsterten Schreibtischoberfläche ausgebreitet worden war. Insgeheim verfluchte er seine
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