Steels Entscheidung: Historischer Roman (German Edition)
dabei, versetzte dem Mann einen Tritt und schickte ihn zurück in die Gosse.
Unbekümmert ritt Steel weiter und ließ den Mann in seinem Schmerz zurück. Die Straßen von Menen waren voller Soldaten, betrunken wie nüchtern; Kavalleristen und Infanteristen in sämtlichen Uniformen, die es in den Reihen der Alliierten zu sehen gab – ein Durcheinander von Farben, obwohl das Rot der Briten dominierte, gefolgt vom Blau der Preußen und dem Grau der Dänen. Vor nunmehr vier Wochen hatte Marlborough nach der letzten Schlacht sein Hauptquartier in Menen aufgeschlagen – eine Schlüsselstellung, da er auf diese Weise in der Lage war, die wichtigsten Zitadellen der Franzosen in Ypres, Lille und Tournai unter Druck zu setzen.
Prinz Eugen war unterdessen ostwärts weitergezogen, in Richtung Ath, um zu seiner eigenen Armee zu stoßen, die um weitere fünfundzwanzig Bataillone verstärkt worden war. Alles in allem 50 000 Mann – eine beachtliche Streitmacht. Jedem war klar, dass etwas in der Luft lag, aber niemand wusste, was der Oberbefehlshaber sich ausgedacht hatte. Steel fragte sich, ob er es in Kürze erfahren würde.
Es hatte ihn nicht überrascht, in das Quartier des Herzogs bestellt worden zu sein. Inzwischen hatte er sich daran gewöhnt, spezielle Aufträge für den Oberbefehlshaber auszuführen. Allerdings fragte er sich, was für einen Einsatz der Herzog nun für ihn vorgesehen haben mochte. Von Menen nach Werwicq war es nur ein kurzer Ritt, und abgesehen von dem Zwischenfall mit dem Betrunkenen hatte sich nichts Nennenswertes ereignet.
Vor dem Rathaus, das Marlborough zum Hauptquartier erkoren hatte, stieg Steel vom Pferd. Er schlang die Zügel um eine der Holzstreben, die sich für den Zweck eigneten, und grüßte vorschriftsmäßig die beiden Wachen der Foot Guards, Männer aus seinem alten Regiment, die für die Sicherheit des Herzogs verantwortlich waren.
Auf den ersten Blick wirkte das Gebäude nicht anders als alle Quartiere auf dem Feldzug. Ein Außenstehender hätte womöglich von einem Zustand des organisierten Chaos gesprochen, da überall geschäftiges Treiben herrschte: Hier und dort waren Offiziere und Adjutanten in Gespräche vertieft oder warteten vor verschlossenen Türen. An Schreibpulten versahen Sekretäre und Schreiber ihren Dienst, während Laufburschen durch die Räumlichkeiten eilten. Doch Steel spürte gleich, dass er sich im Zentrum einer gut organisierten Militärmaschinerie befand.
Ein Sekretär blickte von seinem Pult auf. »Ja?«
»Captain Steel, auf Geheiß des Oberbefehlshabers.«
Der Mann war von kleiner Gestalt und hätte in früheren Zeiten aufgrund seiner strengen Gesichtszüge womöglich als Puritaner gegolten. Nun musterte er Steel von Kopf bis Fuß und begann dann, wichtigtuerisch einen Stapel Papiere neu auszurichten. »Ah, Captain Steel. Ja, ich bin sicher, dass ich diesen Befehl eben noch gesehen habe. Captain Steel. Und Ihr seid sicher, dass Ihr für heute vorstellig werden solltet?«
Das Abzeichen am Arm des Schreibers wies ihn als Captain aus. Sogleich überlegte Steel, wer von beiden eher das Offizierspatent bekommen hatte und hoffte, dass es nicht zu Zwistigkeiten bezüglich der Dienstjahre kommen würde. Der Mann fuhr in einem für Steels Ohren anmaßenden Ton fort: »Ich kann Euren Namen hier nirgends finden. Nein, Ihr steht nicht auf der Liste.«
»Ich bin mir aber sicher, Captain, dass ich hierherbestellt wurde, ob ich nun auf der Liste stehe oder nicht. Wenn Ihr mich also jetzt vorbeilassen würdet. Ihr werdet sehen, dass Colonel Hawkins mich persönlich kennt.«
Der Schreiber gab einen mokanten Laut von sich. »Das bezweifele ich nicht, Captain Steel, aber Ihr solltet wissen, dass Ihr ohne Termin nicht eintreten dürft, ganz gleich, ob der Colonel Euch kennt oder nicht. Seine Hoheit ist ein viel beschäftigter Mann.« Er setzte ein Lächeln auf, das Steel als provozierend empfand. »Das müsst Ihr verstehen, Captain. Denn abgesehen von Euch bespricht der Herzog sich mit vielen Offizieren und muss sich wichtigen Staatsangelegenheiten widmen. Ich fürchte, dass ich Eure Papiere im Augenblick nicht vorliegen habe. Aber wenn Ihr dort drüben Platz nehmen wollt …«
Steel folgte dem ausgestreckten Finger des Mannes und sah, dass am anderen Ende des Raums mehrere Offiziere in einer Reihe auf unbequemen Stühlen saßen und darauf warteten, vorgelassen zu werden. Die Herren befanden sich in unterschiedlichen Stadien der Aufmerksamkeit, mindestens zwei von
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