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Steels Entscheidung: Historischer Roman (German Edition)

Steels Entscheidung: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Steels Entscheidung: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Gale
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die Schuhe des Spions auszuleihen.
    Mühsam stand er auf, zog sich an und goss kaltes Wasser aus der Kanne in eine Keramikschale. Nachdem er sein Gesicht benetzt hatte, suchte er nach seinem Rasiermesser, zog es grob über die Bartstoppeln. Er fluchte laut, als er sich schnitt. Danach band er sich die Krawatte, zog den schweren Uniformrock von Clares Dragonern an und schnallte sich den Degen samt Gürtel um.
    Im Haus herrschte Stille. Steel dachte zuerst, er sei viel zu früh aufgestanden, dann aber vernahm er die vergoldete Standuhr unten in der Eingangshalle und wusste, dass es elf Uhr sein musste. Offenbar spielte Simpson seine dandyhafte Rolle genüsslich aus und schlief in den Tag hinein. Steel ließ das Frühstück aus und war froh, keinem der Bediensteten begegnet zu sein, als er die Haustür öffnete. Mit neuem Selbstvertrauen trat er hinaus in den Hof und fragte sich, wo der Führer stecken mochte, den Simpson ihm versprochen hatte.
    Kaum war Steel ein paar Schritte gegangen, als er einen kleinen Jungen sah. Er schaute zu Steel auf, lächelte und gab ihm zu verstehen, ihm zu folgen. Gemeinsam überquerten sie das Kopfsteinpflaster und traten hinaus auf die Straße.
    Die Sonne schien, die Luft war frisch. Eine Brise wehte von der Seine her, die nur wenige Schritte entfernt vorüberströmte. Zu seiner Rechten sah Steel die kürzlich erbaute Brücke, die er am Abend zuvor auf dem Weg zum Fest überquert hatte. Links erhob sich die Kathedrale von Notre Dame in ihrer erhabenen Pracht; ihre beiden Türme zeichneten sich gegen den blauen Himmel ab. Nach wenigen Minuten hatte Steel die schlimmsten Auswirkungen seines Katers überwunden und nahm die neuen Gerüche, Geräusche und Anblicke wahr, die diese ihm noch unvertraute Stadt zu bieten hatte.
    Steel folgte dem Jungen und bog rechts ab, wie Simpson es ihm gesagt hatte. Daran zumindest konnte er sich noch erinnern. Rasch schritten sie über die Pont Marie und näherten sich dem Marais. Doch kaum hatten sie den Fluss überquert, bogen sie links ab und folgten dem Verlauf des befestigten Ufers.
    Entlang der Seine achtete Steel nicht weiter auf die Leute, die an ihm vorübergingen oder ihre Waren an Ständen feilboten. Man konnte alles Mögliche kaufen: Federvieh, Jagdhunde, Kleidung, Essen und Getränke. Doch Steels kleiner Führer blieb nirgends stehen. Eins fiel Steel jedoch gleich auf. Paris präsentierte sich anders als noch am Abend zuvor – bodenständiger, geschäftiger, lebensnaher und nicht beherrscht von den Vorlieben des Adels.
    Inzwischen kam Steel sich nicht mehr so sehr wie ein Fremder vor, und dafür war er Simpson dankbar. Die Feuertaufe hatte gewirkt, auch wenn er noch nicht ganz im Bilde war, wie es jetzt genau für ihn weitergehen würde.
    Er versuchte sich zu orientieren, blieb ein gutes Stück von der Kathedrale entfernt stehen und stellte fest, dass der Junge und er eine beachtliche Strecke zurückgelegt hatten, denn rechter Hand lag nun der Palast des Louvre, den König Ludwig zugunsten des Hofes bei Versailles aufgegeben hatte. Steel fragte sich, ob das Regieren nicht sehr viel einfacher für den König gewesen wäre, wenn er in der Hauptstadt geblieben wäre. Andererseits brauchte Steel nicht lange zu überlegen, warum der König der Stadt den Rücken gekehrt hatte. Der Gestank, der aus dem Fluss aufstieg – so schön die Seine auch sein mochte –, war beinahe unerträglich, selbst für jemanden wie Steel, der in all den Kriegsjahren den Geruch des Todes kennengelernt hatte.
    Sie bogen rechts in die Rue St. Honoré, als Steels kleiner Führer auf einen Schuhmacherladen zeigte. Nachdem Steel dem Stiefelmacher in leidlichem Französisch klargemacht hatte, wie er sich die Stiefel wünschte – wobei er sorgsam auf seinen Decknamen Johnson achtete –, ging er zurück zu dem Jungen und folgte ihm weiter die Straße hinunter. Auf beiden Seiten reihte sich Geschäft an Geschäft; die meisten boten Stoffe und Kurzwaren an. Wie sehr das Henrietta gefallen würde, überlegte Steel. Wäre es zu gewagt, ihr ein Paket mitzubringen? Er stellte sich vor, wie sie die Stoffe aus Seide und Satin mit leuchtenden Augen auspackte, und beschloss, noch einmal in die Rue St. Honoré zurückzukehren, sobald der Auftrag erledigt war.
    Über die Pont Neuf ging es zurück über den Fluss. Auf der Brücke konnten die Kutschen in beiden Richtungen fahren, und Fußgänger schlenderten entlang der Brüstungsmauer. Auf der Brückenmitte befand sich ein großes

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