Steels Entscheidung: Historischer Roman (German Edition)
Hawksmoor. Inzwischen hatten sie das Gedränge und den Lärm der Straßen hinter sich gelassen, und Steel griff in seine Tasche und gab seinem kleinen Führer eine goldene Münze. Der Junge nickte zum Dank, machte kehrt und rannte zurück in Richtung Stadt. Steel war auf sich allein gestellt. Einen Augenblick blieb er noch stehen, beinahe verzückt vom Anblick dieser architektonischen Perfektion, ehe er sich einem der Tore näherte.
Die Stadt lag weitestgehend hinter ihm, sodass er das Gefühl hatte, sich durch offenes Gelände zu bewegen. Die Ebene der Île de France erstreckte sich zu beiden Seiten in Gestalt vieler kleiner Felder, wodurch der riesige, neoklassizistische Bau mit seiner spektakulären Kuppelkonstruktion umso eindrucksvoller wirkte. Doch Steel hatte in diesem Moment kein Gefühl für die Weite des Raumes oder die Proportionen. Ihm war, als marschierte er geradewegs in die Mündungen von Kanonen. Der Gang zum Invalidendom erschien Steel so schrecklich wie ein Sturmlauf. Hier, so machte er sich bewusst, gab es für ihn keine Möglichkeit des Rückzugs. Einen Moment überlegte er, ob es nicht klüger wäre, die Friedensmission abzubrechen und den Degen zu ziehen, um so viele Gegner wie möglich zu töten, ehe man ihn niedermachte. Denn wenn er sich auf irgendetwas verstand, dann auf das Kämpfen. Doch schlussendlich entsann er sich Hawkins’ Worte und verbannte diese unüberlegten Gedankenspiele. Er hatte einen Auftrag. Und diesmal war der Frieden das Ziel.
Wie eigenartig, überlegte Steel, dass ausgerechnet er mit einer solchen Mission betraut worden war – ein Mann, der in seinem bisherigen Leben kaum etwas anderes gekannt hatte als den Krieg. Und nun war er Steel, der Friedensstifter. Er fragte sich, wie die Nachwelt seiner gedenken würde … vorausgesetzt, seine Mission war erfolgreich. Würde sein Name in späteren Zeiten, in Büchern über diesen Krieg, im Zusammenhang mit Friedensverhandlungen erwähnt werden?
Steel hielt sich rechts und folgte dem Verlauf der Ulmen- und Pappelalleen, entlang der niedrigen, spitz zulaufenden Befestigungswerke, die an Vaubans architektonische Meisterleistungen erinnerten. Nach einem weiteren Schlenker rechter Hand fand er sich vor dem Haupteingang wieder: Ein zweiflügliges schmiedeeisernes Tor, flankiert von Pavillons, in deren Wände Steinmetze die Szenen früherer Triumphe gemeißelt hatten.
Im Augenblick sah Steel nur einen einzigen weiß uniformierten Wächter, doch er ahnte, dass mehr Soldaten in der Nähe waren. Der Mann verlangte auf Französisch den Passierschein.
Natürlich hatte Steel alle wichtigen Papiere bei sich, auch den handgeschriebenen Briefbogen, den Hawkins ihm gegeben hatte. Dieses Schreiben öffnete Steel nun Tür und Tor im Hospital und nannte seinen Namen, den Rang und die Einheit, in der er diente. Außerdem stand dort, er wünsche während des Aufenthalts Major Charpentier zu sprechen.
Der Wächter nahm das Dokument entgegen, überflog die Zeilen gewissenhaft und rief dann einen jungen Offizier zu sich, der lässig an einer Säule lehnte und an seinen Zähnen herumstocherte. Schließlich kam der Mann zum Tor, las das Dokument und musterte Steel.
»Ire?«
»Ja. Captain Johnson. Clares Dragoner.«
»Ihr wünscht Major Charpentier zu sprechen?«
»Ja, Lieutenant.«
Wieder musterte der junge Offizier ihn, betrachtete eingehend Steels Uniformrock, zuckte dann die Schultern und nickte dem Wachsoldaten zu. Wortlos gab er Steel das Dokument zurück und schritt davon. Der Wächter salutierte und gab Steel dadurch zu verstehen, dass er durch den Bogen des Torhauses gehen dürfe.
Steel war im Begriff, das Gelände zu betreten, als er sich fragte, ob er sich nicht darüber echauffieren müsste, dass der junge Lieutenant einem ranghöheren Offizier mit offenkundiger Respektlosigkeit begegnet war. War das etwa eine Falle? Hatte dieser Lieutenant einen Grund, ihm zu misstrauen? Hatte er sich deshalb so barsch benommen? Wenn er, Steel, jetzt nicht auf diese Beleidigung reagierte, würde der Lieutenant ihn dann festnehmen lassen? Es gab nur eine Möglichkeit, eine Antwort auf diese Fragen zu erhalten.
Steel drehte sich um und rief dem jungen Offizier nach: »Lieutenant, einen Moment noch, wenn Ihr erlaubt. Salutiert Ihr nicht mehr vorschriftsmäßig vor einem ranghöheren Offizier?«
Der junge Mann wirbelte auf dem Absatz herum und setzte zuerst eine anmaßende Miene auf. Steel fröstelte. Dann aber lächelte der Lieutenant, deutete eine
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