Stefan Bonner und Anne Weiss
genauso attraktiv wie Musikantenstadl und Leberwurstbrote. Und das gilt nicht nur für den unteren Al tersrand der Generation Doof, nämlich die Fünfzehn-bis Zwanzig jährigen, sondern auch für die älteren Exemplare, die Dreißig-bis Vierzigjährigen. Zerrissene, ausgebeulte Jeans und ausgelatschte Turnschuhe sind im Theater, beim Schwiegermutterbesuch und beim Vorstellungsgespräch in den Augen vieler Doofer durchaus passend und ein Zeichen von großer Eigenständigkeit und Individualität.
Die Kleidung reiht sich damit in unser gesamtes Verhalten ein. Wer uns aufgrund unseres Benehmens, unserer Sprache und unserer Umgangsformen einem bestimmten Lebensabschnitt zu ordnen möchte, für den wird die Einordnung zum Ratespiel. Der Unterschied zwischen einem Fünfundzwanzigjährigen und einem Fünfunddreißigjährigen? Allerhöchstem ein paar Fältchen um die Augen. Und auch die kann man wegspritzen, wenn man das nötige Kleingeld besitzt. Sichtbar älter werden – das muss man heute nicht mehr unbedingt.
Was in den sechziger Jahren eine handfeste Rebellion der Ju gend gegen das spießige Establishment gewesen wäre, ist heute permanenter und langfristiger Jugendwahn einer gesamten Generation. Die Kleidung, die wir tragen, die Musik, die wir hören, oder die Produkte, die wir kaufen, versprechen die Ausdehnung des Ju-gendalters in die Unendlichkeit. Erwachsenwerden geht für uns mit Feinrippunterhosen, Blasentee und langweiliger Lebenseinstellung einher. Indem wir die Jugendlichkeit künstlich aufrechterhalten, versuchen wir die Pflicht abzuschütteln, durch aktive Wissensauf-nahme eine eigene Meinung zu entwickeln und Verantwortung für unser Leben zu übernehmen.
»Die Zahl derer, die durch zu viele Informationen nicht mehr informiert sind, wächst.«
Rudolf Augstein Das vielleicht plakativste Beispiel für diesen freiwilligen Verzicht auf Verantwortung ist die Aufgabe des politischen Interesses. Schon die Stimmabgabe bei Wahlen erscheint vielen Angehörigen der Ge neration Doof wie ein ungeliebter Vertreib der Zeit, die man doch viel sinnvoller nützen könnte. Politisch aktiv zu sein, darin sehen viele von uns keinen Sinn. »Ich kann ja doch nichts verändern«, zitiert Janine, Bankkauffrau aus Köln und laut eigenen Angaben seit drei Jahren neunundzwanzig Jahre alt, den Klassiker aller Nicht wähler-Ausreden. Die Unlust am gesellschaftlichen Engagement beginnt schon früh: Laut Shell-Studie aus dem Jahr 2006 sind viele Jugendliche skeptisch, was eine mögliche politische Betätigung an-geht. Selbstbeteiligung ist noch abgesagter als Jacko nach seinem Kinderschänder-Prozess. Deshalb sagen wir zwar gern: »Wir sind Papst«, nicht aber: »Wir sind wählen gegangen.«
Und auch, was ehrenamtliche Tätigkeiten angeht, sind wir lust los. Laut SPIEGEL beklagen immer mehr Kommunen das geringe Interesse für ehrenamtliche Arbeit, vor allem unter Jüngeren. »›Null Bock‹, ›keine Zeit‹, ›hab’ schon was vor‹ – Ausreden gibt’s immer«, heißt es in dem Artikel über Jugend und freiwilliges Engagement. Die Shell-Studie stellt außerdem fest, dass vor allem Jugendliche »aus den unteren Bildungsschichten« sich weniger sozial aktiv engagieren, gerade dann, wenn ihre Hauptfreizeitbeschäftigungen »Fernsehen, Computerspielen oder auch Nichtstun und Rumhän gen« sind. Damit ist der Tag bereits ganz ausgefüllt.
Die Werbe-und Marktforschung der ARD entwirft in ihrer Broschüre Das umworbene Fünftel. Mediennutzung, Konsum und Einstellungen junger Zielgruppen unter anderem das Szenario, dass Jugendkultur zu einem Trend wird, dem alle nachfolgen – obwohl oder gerade weil es in einer überalterten Gesellschaft in Deutsch land zunehmend weniger »echte« Jugendliche geben wird. So wird Jungbleiben zum Mainstream-Traum. Und dies betrifft, wie wir wissen, nicht nur die Generation Doof: Im Anti-Aging-Wahn star ten Sechzigjährige zum Marathonlauf, kramt Oma die Leggins raus und spritzen sich Tausende Botox unter die lappige Pelle. Sie alle haben dabei eines mit der Generation Doof gemein: Sie sind nicht nur auf der Jagd nach immerwährender Gesundheit. Jugend ist für sie gleichbedeutend mit einem Leben ohne Sorgen. Jugend verheißt Spaß.
Für die Generation Doof ist Spaß ein Ziel erster Güte. Auf der Suche nach diesem Glück ist uns jedes Mittel recht: Junge Men schen kippen sich am helllichten Tag ungezügelt Alkohol in den Schlund, während halb Deutschland bei einem Kaffeebohnendis-counter
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