Stefan Bonner und Anne Weiss
Ende waren dann immer alle zufrieden, weil unser Lehrer, Herr Kasupke, bekennender Spätachtundsechziger und Birkenstockträger, nur Zweien und Dreien vergab. Das machte die ganze Sache auch für ihn ein wenig erträglicher. Die fröhliche, unbeschwerte Notentombola sagte allerdings selten etwas über den erfolgreich gelernten Unterrichtsstoff aus.
Anne erzählt:
Sommer 1990, SoWi-Unterricht, sechste Stunde, Raum 501. Herr Kasupke, von seinen Schülern so respektlos wie liebevoll »Sup-pi« genannt, schlurft gemächlich in den Klassenraum. In der Hand hält er eine ausgeblichene Jutetasche, aus der grüngelbe Flüssigkeit rinnt. Die Apfelsaftpackung ist mal wieder geplatzt. Das bemerkt der Lehrkörper erst, als er die Tasche mit Schwung aufs Lehrerpult setzt und der Saft mit einem gedämpften Schmatzen in die erste Reihe schwappt – wo umgehend der kollektive Aufschrei »Mensch Suppi, du Vollidiot!« ertönt.
»Ach, tut mir leid, Kinder, das hab ich nich gesehn«, meint »Suppi« und macht sich erst mal ans Aufwischen.
Wir nutzen die kleine Verzögerung für einen netten Plausch mit unseren Tischnachbarn. Die Jungs neben mir debattieren weiter über den neuen Schwarzenegger-Film. Martin hat die ungeschnittene Fassung gesehen und weiß zu berichten, dass Arni dem Böse-wicht am Ende des Filmes noch die Arme ausreißt und nicht nur den Kopf abschraubt, wie in der deutschen Fassung.
Herr Kasupke ist fertig.
Es geht los.
»So, Kinder. Dann erzählt mir doch mal schnell, was wir letzte Stunde gemacht haben.«
»Das wissen wir nicht mehr.«
»Gut, ich auch nicht. Fangen wir also heute mit einem neuen Thema an. Auf dem Lehrplan steht, dass wir uns ein wenig mit Wirtschaft beschäftigen müssen. Da ihr ja alle mal arbeiten gehen wollt, dachte ich, wir reden heute über die Organisation von Fir-men. Kennt sich da schon jemand aus?«
Schweigen. Lisa zeigt mir unter der Bank einen Versandhaus katalog, bei dem man »Perücken nach Art der Hollywoodstars« bestellen kann.
»Keiner? Gut, dann erzähl ich euch was über das Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer.«
Da meldet sich Peter. Kein Wunder, denken wir, der vögelt seit drei Wochen Kasupkes Tochter und weiß seitdem alles über Ver hältnisse.
»Arbeitnehmer, das sind unsere Eltern. Also alle, die in Firmen arbeiten gehen«, sagt Peter mit einem breiten Grinsen.
Herr Kasupke tritt leicht vom einen Fuß auf den anderen und streicht sich nachdenklich durch das schüttere Haar. »Nein, Peter, das ist so nicht ganz richtig. Passt auf, es ist eigentlich ganz einfach. Die Begriffe sagen uns ja schon, wie sich das im Grunde verhält. Also: Arbeitgeber, das sind die, die ihre Arbeitskraft einem anderen geben und dafür Geld bekommen. Und der Boss ist dann der Ar beitnehmer, denn der nimmt ja Arbeit in Empfang.«
Ja, Sie haben richtig gelesen. Solches und Ähnliches haben wir fürs Leben gelernt. Auch jüngere Angehörige der Generation Doof schreiben sich in Internetforen den Frust vom Leib: »Hatten heute Politik. Da weiß ich nich viel, drum ists immer lustig zuzuhören – auch wenn manches nach Propaganda klingt.«
Auch uns Älteren kam der Politikunterricht zuweilen blödsin nig vor. In der ersten Doppelstunde verteilte unsere Lehrerin in der achten Klasse Kopien aus der TAZ, die sie abonniert hatte, wie sie ständig betonte. Die wurden dann erst gelesen und in der zweiten Doppelstunde diskutiert. Wilde Weltverschwörungstheo-rien waren an der Tagesordnung, ohne dass die Lehrerin eingegriffen hätte. Das wahre Unheil ereilte uns jedoch aufgrund des mangelhaften Erdkundeunterrichts, als es im Familienurlaub nicht wie sonst üblich nach Mallorca gehen sollte, sondern nach Malaga. Das kannten wir eigentlich nur vom italienischen Eisladen um die Ecke und vermuteten die Insel daher auch in der Nähe von Italien. In späteren Jahren hätten wir das ganz einfach bei Waikikipedia nachgeschlagen.
Es hat lange gedauert, bis wir uns von den Schädigungen durch das deutsche Schulsystem erholt hatten, unter denen die Ausläufer der Generation Doof noch immer leiden. Als Berufsanfänger haben wir uns jedenfalls noch so manches Mal mit unseren Chefs darüber gestritten, wer hier wem was gibt und nimmt.
»Ein Mann, der nie zur Schule gegangen ist, kann von einem Güterwaggon stehlen. Hat er aber einen Universitätsabschluss, kann er die ganze Eisenbahn stehlen. « Theodore Roosevelt
Der gute alte »Teddy« Roosevelt würde sich heute wohl darüber wundern, dass bei der Nennung
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