Stefan Bonner und Anne Weiss
es, dass sich deutsche Schüler mit den Folgen von Bildung so schwer tun: Die wenigen, die überhaupt begriffen ha-ben, wie man mit Wissen umgeht und Dinge erlernt, können das Gelernte nicht anwenden. Das ist zumindest die Schlussfolgerung derjenigen, die ganz oben auf dem schiefen Turm stehen und die Lage überschauen: Deutsche Schüler haben große Probleme mit anspruchsvollen Aufgaben, bei denen es ums Reflektieren, Bewer-ten und Anwenden von erlangtem Wissen geht. Einfach um das, was Bildung so wertvoll macht.
Dass wir heute als regelrechte Bildungszombies durchs Leben wanken, daran scheint vor allem der Staat schuld zu sein. Nach dem PISA-Schock brach wilder Aktionismus aus. Die Länder verdonnerten ihre Lehrer zu kostspieligen und zeitintensiven Fort bildungsmaßnahmen oder führten das Zentralabitur in solcher Windeseile ein, dass uns allen der Kopf schwirrte. Bis heute wissen weder Schüler noch Lehrer genau, wie das Ganze eigentlich funktionieren soll. Hier hat man kostbare Zeit und Geld verplempert – beides wäre besser für eine sinnvolle Restrukturierung des Bil dungssystems verwendet worden. Denn noch immer ist was faul im Bildungsstaat. Ein sinnvoller Unterricht ist an deutschen Schu len oft nicht möglich, weil schlicht die Ressourcen fehlen, in erster Linie die heute so gern zitierte Manpower, die Lehrer. An deutschen Grundschulen kommen auf eine Lehrkraft durchschnittlich zwan zig Schüler. Zum Vergleich: In Dänemark sind es nur zehn. An den weiterführenden Schulen sieht es in den Sekundarbereichen I und II nicht besser aus: Von der fünften bis zur zehnten Klasse kommen sechzehn Schüler auf einen Lehrer – Länder aus der europäischen Bildungs-Champions-League wie Finnland begnügen sich mit zehn bis elf Zöglingen. Selbst in den Klassen elf bis dreizehn befasst sich bei uns ein Lehrer dann immerhin noch mit vierzehn Schülern.
Kein Wunder, dass die meisten deutschen Lehrer ihren Beruf für »eher anstrengend und belastend« halten. Allein für den Lärm pegel, der in den Klassen herrscht, sollten Lehrkräfte Schmerzens geld erhalten: Bis zu fünfundachtzig Dezibel werden in deutschen Klassenräumen gemessen, das sind nur fünf Dezibel weniger, als ein schwerer Lkw verursacht.
Wer übermäßig gestresst oder nur mäßig motiviert ist, erbringt in den seltensten Fällen Glanzleistungen. Das gilt für Schüler, aber eben auch für Lehrer. Deren langweiliger Unterricht ist laut PISA wiederum für den geistigen Blindflug deutscher Schüler ver antwortlich. Die Folgen der personellen Schieflage sind auch an deutschen Universitäten nicht zu übersehen. Der Deutsche Philologenverband hat festgestellt, dass durch die übermäßige Belastung der Professoren Abschlussarbeiten nur noch oberflächlich korrigiert und begutachtet werden. Resultat sind Einheitsnoten, die oft viel zu gut ausfallen. »An den Hochschulen verstärkt sich die Tendenz zu einer undifferenzierten Massenvergabe von Bestnoten«, kritisiert Heinz-Peter Meidinger, Vorsitzender des Philologenverbands. Auf Doof gesagt: Die schmeißen einfach ein paar Noten in die Luft und schauen mal, welcher Student sie auffängt. »Inflation der Kuschelnoten«, titelte der SPIEGEL treffend; »Noten ohne Wert«, schrieb die ZEIT.
Für spätere Arbeitgeber ist aus den Zensuren oft überhaupt nicht mehr ersichtlich, was ein Student wirklich geleistet hat. Schul-und Studienabschlüsse werden faktisch entwertet und taugen bald weniger als eine Jobgarantie bei der Telekom.
Fremd ist uns eine solche Praxis auch aus eigener Erfahrung nicht. Immer wieder haben wir uns während unseres Schüler-und Studentenlebens über Traumzensuren für durchschnittliche Leistungen gewundert – und natürlich gefreut. Da hatten wir also doch mehr auf dem Kasten, als wir eigentlich glaubten!
»Ich hatte acht Jahre Latein, bayrisches Hardcore-Mörder-Latinum. Ich kann nicht mal fluchen auf lateinisch. Wie gerne hätte ich damals zu meinem Lateinlehrer gesagt: ›Yo teacher, fuck you! – Aber wie auf Lateinisch? ›Tu magister esse popare?‹ «
Michael Mittermeier Ein Beispiel dafür war das Fach Sozialwissenschaften in der Schule, ein recht buntes Potpourri aus Politik und Wirtschaft, einmal um-gerührt und mit einer Prise Volkskunde und Sozialwissenschaften verfeinert. Eigentlich eine gute Mischung. Wir unterhielten uns oft über die Maastrichtkriterien, lernten, wie die Europäische Union zustande kam und was der Unterschied zwischen Kolchosen und Sowchosen ist. Am
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