Stefan Bonner und Anne Weiss
Aus-nahmezustand.
Nun ist ja nicht dauernd Karneval, werden Sie sicherlich denken, und das nicht ganz zu Unrecht. Aber dann waren Sie vielleicht schon länger nicht mehr in einer Disco oder einer Eventkneipe. In den Trink-und Tanztempeln, die von der Generation Doof fre-quentiert werden, ist das ganze Jahr über Karneval. Das Angebot orientiert sich an den Gästen, und die wollen vor allem feiern, den Alltag vergessen und abschleppen.
Die Generation Doof kann ihre Karnevalserfahrungen daher in fast jedem Baggerschuppen anwenden, in dem ganzjährig Be-gattungsstimmung herrscht. Ob es die »Klapsmühle« ist oder der »Donnerbalken«, ob bei einer Schaumparty im »Beachclub« in Ba dehose oder knappem Bikini – es funkt wie am Fließband, und das am heftigsten in Verbindung mit Alkohol. Wir wissen, was wir dem Wochenende schuldig sind: Bier aufreißen und jemanden ins heimische Nest abschleppen.
Köln, Party im Westpol-Gewölbe. Ein junger Mann mit öligem Haar und weißem, nicht mehr ganz blütenrei nem Hemd betritt den Raum. Er hat sich offensichtlich schon ordentlich einen hinter die Binde gekippt und bewegt sich, als wür-de er auf den eigenen Eiern laufen. Dabei versucht er immer wie-der vergeblich, im Takt mitzuwippen. Er nähert sich seinem ersten Opfer, einer groß gewachsenen, schlanken Blondine, die ihn noch nicht zur Kenntnis nimmt. Als er beginnt, sie mit hoch erhobenen Händen anzutanzen, weicht sie erst zurück, dann beginnt sie auf seine Bewegungen einzugehen. Die beiden tanzen ein, zwei Minuten, dann raunt er ihr etwas ins Ohr. Sie schüttelt den Kopf und dreht sich weg. Er, nicht faul, geht ihr hinterher und versucht es noch einmal gewitzter: Er stößt einen Schrei aus, der nach brüns-tigem Tyrannosaurus Rex klingt und sogar die Musik übertönt. Dann wankt er weiter zur nächsten Futterstelle.
Wenn Sie dies für eine wenig erfolgreiche Strategie halten, sei ge sagt, dass während der Performance des Vollidioten im versabber ten Hemd bereits zwei Männer die Blondine ins Visier genommen haben. Sie geben ihr nun auf den Schock erst mal einen Kakao aus. Heute Abend, das sieht man genau, wird sie nicht allein nach Hause gehen.
Die Frauen der Generation Doof sind allerdings nicht die willenlosen Objekte, für die man sie gerne halten würde, sondern ge-hen mit dem gleichen vorsätzlichen Paarungswillen in Diskothe-ken, Kneipen und Bars wie ihre männlichen Gegenstücke. Gerne tragen sie dabei bauchfreie Tops und Hosen, die so tief sitzen, dass man zwischen Speckröllchen und breitem Goldgürtel den Ansatz der Intimfrisur erkennen kann.
Die Lokale, die sie aufsuchen, versprechen Sex und Alkohol. Große Schilder verkünden tolldreist Gangbang! im Kölner »Fifi Choo-Club«, Blowjob meets Pornstar im »Edelpink« oder 6vor6 im »Nachtflug«. Im beschaulichen Unistädtchen Heidelberg geht es dagegen auf der Chauvi & Schicksen-Party im »Mel’s« noch geradezu zahm zu.
Der Generation Doof ist’s recht, denn so wissen wir gleich, wo der Abend hinführen soll. Unsere Väter und Mütter wären wohl niemals zu einer Party gegangen, die ins Deutsche übertragen »Gruppensexparty« heißt und die – dies sei noch mal betont – nicht in einem Puff stattfindet.
Uns stört das wenig. Die Titel der Partys klingen für diejeni gen von uns harmlos, die den Arschficksong von Sido, Lutsch mein Schwanz von Kool Savas oder Die Nutte von Frauenarzt mitgrölen. In solchen Liedern werden Frauen als Huren bezeichnet, Fäkalien spielen eine übergeordnete Rolle, und auch die Potenz des Vortra-genden ist nicht selten ein Schlüsselmotiv der Gossen-Poplyrik. »Meine Bälle wiegen gemeinsam vier Zentner«, singt Kool Savas da nassforsch. Und während sich der geneigte Zuhörer noch fragt, wie der Gute überhaupt von der Stelle kommt, wird in der nächsten Zeile auch schon klar, dass ihm nur kein besserer Reim eingefallen ist: »Du denkst, du hast es drauf, doch du rammelst wie ein Rentner.«
»Fürs Clubben bin ich leider zu doof.«
Oliver Maria Schmitt Große sprachliche Fähigkeiten sucht man bei uns Doofen ohnehin vergeblich. »Wie, Gangbang?«, fragt Heike, die wir vor dem »Fifi-Choo« treffen, und gluckst. »Das hat doch irgendwas mit Spreng-stoff zu tun. Weiß nisch. Klingt halt geil.« Wie soll sie es auch bes ser wissen – die einzige andere Englischvokabel, die ihr einfällt, heißt American Pie. Den hat sie auf DVD und glaubt vermutlich, dass Dr. Oetker Regie geführt hat.
Vielleicht hätte Heike den
Weitere Kostenlose Bücher