Stefan Bonner und Anne Weiss
gleichmütig. »Ich lauf nur
schnell aufs Klo. Wenn ich wiederkomme, können wir ins Bett ge-hen.«
Dass große Worte nicht zu den Stärken der Generation Doof ge-hören, wissen mittlerweile auch die Betreiber einschlägiger Bagger-Börsen. Sie warten mit der passenden Lösung auf: Bei einer »Farbe sucht Farbe«-Party wie in den Hamburger Mozartsälen weisen uns Aufkleber oder Armbänder mit Farbcodes den Weg ins Bett oder in die Langzeitbeziehung. Rot steht für »Liebe«, gelb für »eine Nacht«, grün für »Küss mich!« und blau – sehr originell – für »Drink?«. Das ist simpel und selbst von denjenigen zu durchschauen, die ihr
Gehirn gerne im Handtäschchen aufheben.
Diese farbliche Direktheit wirkt sich auch in sprachlicher
Unmittelbarkeit aus. Die Flirttechnik der Generation Doof zielt
geradewegs auf das ab, was wir erreichen wollen. Wenn wir also
jemanden nach Hause mitnehmen möchten, fragen wir ihn frei
heraus: »Kommst du mit zu mir?« Sehen wir jemanden mit einer
knusprigen Kehrseite, dann teilen wir ihm das – meist kräftig unter
Alkoholeinfluss stehend – ebenfalls unverblümt mit … und fangen
uns damit oft nicht mal eine Ohrfeige ein.
Wir haben keine Probleme damit, unsere Bedürftigkeit offen
auszuleben. Haben wollen? Unverzüglich! Wir nehmen kein Blatt
mehr vor den Mund. Und wenn dabei alle Welt unsere peinlichen
Liebeseskapaden mitbekommt, ist das nicht schlimm, denn wir ste-hen gerne im Rampenlicht.
Love Is All Around You – Liebe in der Öffentlichkeit Wir wissen heute viel mehr über Sex, Liebe, glückliche Beziehungen und unangenehme Herzenssprünge anderer, als wir jemals da rüber wissen wollten. Die Zwangsaufklärung prasselt multimedial auf uns ein: Reality-Shows und Aufklärungsartikel in Zeitungen wie BILD (Anne West: Lassen Sie uns über SEX reden! Heute: Was ist frauenfreundliches Spielzeug?), explizite Songtexte von »Porno rappern« wie Sido und Bushido, oder Mittagstalks, in denen besprochen wird, wer wen mit wem wie und in welchen Stellungen betrogen hat. Die Zeitschrift Fit for Fun präsentiert uns den »SexKnigge«, in Internetforen wird über die Vor-und Nachteile von Intimrasuren philosophiert, und die Sprüche aus Sex and the City kommen uns schon morgens vor der ersten Konferenz flüssig über die Lippen.
Da wir vor allem in den Medien und in der Werbung ständig von Sex, nackten Brüsten, eingeölten Sixpacks und diversen Kör-perflüssigkeiten verfolgt werden, ist es für die Generation Doof schwer auszuloten, was wir selbst erotisch finden. Statt Kompli-mente oder Zuneigungsbekundungen abzusondern, plappern wir immer häufiger Schamlosigkeiten nach, die uns die Medien souff-lieren. Dabei wird eines gern vergessen: Aufklärung ist gut, aber sie bedeutet auch Desillusionierung. Und Liebe lebt wenigstens zum Teil von der Illusion.
Die Generation Doof hat verinnerlicht, dass Sexualität heute salonfähig ist. Wenn Superstars vor laufender Kamera ihr Sexleben ausbreiten, dann müssen auch wir nicht länger schweigen. Tabus sind etwas für Leute von gestern. Wir schreien in die Welt hinaus, was uns gerade in den Sinn kommt – egal, ob es die anderen interessiert oder besser unausgesprochen bliebe.
Für die Liebe ist das schlecht, denn je mehr Intimes wir gleich am Anfang preisgeben, umso uninteressanter werden wir für einen möglichen Partner. Wer vor jedem sofort die Hosen runterlässt, an dem ist nichts mehr geheimnisvoll. Aus Geheimnissen werden plat-te Peinlichkeiten, denn wenn Vertraulichkeiten nicht mehr exklu siv sind, verlieren sie an Wert. Dennoch gilt es bei der Generation Doof als verklemmt, seine Konflikte im Geheimen auszutragen. In Zeiten, in denen selbst Intimschmuck zum Talkshowthema taugt, wollen wir möglichst cool und abgebrüht wirken, indem wir schamlos mitreden.
Ein Beispiel für fehlende Grenzen und sinnloses Sex-Geschwafel ist die auf YouTube veröffentlichte Pilotfolge der Sendung Wahrheit oder Pflicht , gegastgebert von einer, wie es den Anschein hat, bis zum Anschlag betrunkenen Charlotte Roche.
Stellen Sie sich das gemütlich-miefige Ambiente einer klitzeklei nen Wohnung vor. Es klingelt ein paarmal, und »uns Charlotte« läuft aufgeregt an die Tür, um nacheinander Roger Willemsen, Mieze von der Popgruppe MIA, den Rapper Ferris MC und Kim Fisher zu begrüßen. Ziel des Abends: systematische alkoholische Betankung aller Gäste und gemeinsame Inszenierung des alten Teenager-Geburtstagsspielchens Flaschendrehen.
Der Abend beginnt
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