Stefan Bonner und Anne Weiss
»Flirter« Phillip von Senftleben, der uns bundesweit von Radio Hamburg bis Hitradio RTL Sachsen zeigt, wie man eine Frau während eines Anrufs auf der Arbeit binnen weniger Minuten so einwickelt, dass sie ihre private Telefonnummer herausgibt. Manch ein Angestellter würde in Gehaltsverhandlungen sicher einiges für dieses Talent ge ben. Und er könnte es erlernen, denn der Flirter gibt Seminare, in denen er seine Kunst weitergibt.
Das ist Ihnen zu niederträchtig? Zu absichtsvoll? Seien wir doch ehrlich: Wir haben Nachhilfe dringend nötig!
Radio und Fernsehen geben uns die Möglichkeit, von anderen zu lernen. Der Musiksender MTV zum Beispiel zeigt in der Sendung MTV Next , wie grausam man seinen Flirt abservieren darf. Das Verfahren funktioniert ähnlich wie das Speed-Dating: MTV organisiert fünf Dates für den Kandidaten oder die Kandidatin, die er oder sie mit dem Ruf »Next!« beenden kann, sobald man vor Langeweile gähnt, vor Ekel reihert oder einem vor Entsetzen die Kinn lade runterklappt. Daran nimmt sich die Generation Doof gerne ein Beispiel, denn kurzen Prozess zu machen ist praktisch: War-um sollte ich meinem Gegenüber Respekt entgegenbringen? Auch im Fernsehen darf ich doch meinem Flirt nach einem verkorksten Date »Schlampe« hinterherrufen.
In solchen Sendungen lernt man wenig über die wahre Liebe. Im Gegenteil: Wer sich diese Fernsehshows ohne psychologische Betreuung ansieht, könnte sich emotional schnell zu einem zweiten Dieter B. entwickeln und immer genau jene Beleidigung wählen, die sein Schnuckelhäschen am meisten verletzt.
Für Gefühlslegastheniker der Generation Doof bieten Shows wie MTV Next daher genau die richtige Kost, denn wir finden es lustig, andere herunterzuputzen. Dieses Prinzip hat wohl auch ProSieben verinnerlicht: In der Sendung Avenzio düsen superlockere Singles durch die Wohnungen von anderen superlockeren Singles und durchforsten deren Inneneinrichtung daraufhin, ob sie zu ei-nem passen könnten. Wenn dem besuchenden Single der Flokati in der Wohnung nicht gefällt, kann er nicht nur ein Treffen ablehnen, sondern er darf auch noch alles Garstige sagen, das ihm zu dem hässlichen Teppich einfällt. Privates wird durchwühlt und biswei len mit verächtlichem Blick in die Kamera gehalten. Die Sendung könnte daher auch heißen: Avenzio: Singles finden deine Sex-Toys oder Avenzio: Deutschlands schönste Schimmelflecken unter der Matratze.
Daraus ist inzwischen eine Kultur der Gehässigkeit entstan den, in der man über den Geschmack der anderen nach Belieben herziehen darf. Gut, mag sein, dass einige der vorgestellten Singles tatsächlich geschmacklos sind. Und man muss wirklich doof sein, wenn man sich mitsamt seiner Wohnung im Fernsehen zur Diskus sion stellt. Aber rechtfertigt das die öffentliche Zurschaustellung?
Es zeigt auf jeden Fall, dass Zuneigung bei der Generation Doof nicht nur vom Äußeren des Partners, sondern auch von anderen Äußerlichkeiten abhängt. Avenzio demonstriert eindrucksvoll, wie man an materiellen Werten ablesen kann, ob jemand für uns infrage kommt, wenn man auf Intellekt und Persönlichkeit nicht den geringsten Wert legt. First comes the Wohnung, then the Person. Doof findet Doof eben über die Größe des Heckspoilers, die rich tigen Markenklamotten oder das zwerchfellerschütternde »Bumm-Bumm« des Subwoofers im Wohnzimmer.
Der Vorteil liegt klar auf der Hand: Wer nur nach Äußerlichkeiten auswählt, braucht keine langen Reden zu schwingen. Die Entscheidung für einen Partner wird so auch objektiver und damit leichter vor anderen zu rechtfertigen, wenn nach Fakten entschieden wird, ob mir jemand gefällt. Und auch in diesem Punkt kommen Internet, Schnelldates & Co. unserer Neigung entgegen. Ein erfolgrei ches Date bedarf nicht mehr vieler Worte. Wir landen mit wenigen Mausklicks zielgenau auf der Matratze. Warum auch sollte man sich den Mund fusselig reden, wenn die Vereinigung mit weniger Aufwand vonstatten gehen kann?
Anne erzählt: Der Tag ist gekommen. Wir sind nun seit zwei Monaten zusammen. Ein romantisches Abendessen, nur mein Traumprinz und ich. Er beugt sich zu mir. »Ich … äh …«
Ja?
Ganz sanft küsst er meine Nase. »Ich l….«
Hm?
»Ich l….l…«
Mein Gott, das ist ja nicht mit anzuhören! Mach schnell, ich
hab die Haare schön. Press es raus, Baby!
»Ich liebe dich«, souffliere ich zärtlich. So macht man das. Ohne
Einsatz kein Erfolg. Hat auch gar nicht wehgetan.
»Hm, das ist ja schön«, antwortet er
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