Stefan Zweig - Gesammelte Werke
geworden über Nacht. Die sonst scheu und geduckt schlichen, immer gewärtig eines Schimpfs oder eines Schlags, nun gingen sie heiter und tänzerisch wie Verzückte. Geizige, die immer jede Krume wendeten und sparten, kauften reiche Gewänder, Männer, die schwerer Zunge gewesen, standen auf und predigten beredt die Verheißung, Schwangere hatten Gesichte und schleppten sich hin auf den Markt, sie schleunig den andern zu künden, und die Kinder trugen bunte Fahnen und Kränze. Die Gläubigsten begannen sogar schon zur Reise zu rüsten und verkauften voreilig Besitz und Habe, um im voraus Maultiere bereit zu haben und Wagen, damit kein Tag mit Zurüstung versäumt sei, sobald der Ruf zur Heimkehr erschalle. Denn mußten sie nicht wandern, wenn der Leuchter wanderte über die Welt, und war nicht der Bote schon auf dem Wege, der einst als Kind das Heiligtum begleitet, wann war ein Zeichen, ein Wunder gewesen in ihren Tagen wie dieses? So hatte jede Gemeinde, die rechtzeitig von der Botschaft erreicht ward, einen Mann aus ihrer Mitte als Gesandten auserwählt, daß er mitschaue die Ankunft des Leuchters in Byzanz und teilnehme an der Beratung. Und alle, die entsendet wurden, erschauerten vor Glück und segneten Gottes Namen. Wundersam erschien es ihnen in ihrem kleinen, dunklen Leben, das sonst ärmlich hinging in täglicher Notdurft und Gefahr, daß sie, unscheinbare Krämer ansonsten und niedrige Werkleute, teilnehmen durften an so wunderbarem Geschehen und den Mann sehen, den Gott über die irdische Zeit offenbarlich erhalten für die erlösende Tat. Sie kauften oder borgten reiche Kleider, als wären sie geladen zu großem Fest, sie fasteten und badeten und beteten täglich die Tage vor der Abreise, um reinen Leibs und reiner Seele die Botschaft zu empfangen, und als sie dann aufbrachen aus ihrer Heimat, begleitete jeden von seinem Dorfe und seiner Stadt die Gemeinde eine Tagreise auf dem Weg. In allen Orten, die sie durchwanderten bis Byzanz, boten Fromme ihnen Unterkunft und sammelten Geld für die Lösung des Leuchters; stolz und geheimnisvoll wie eines mächtigen Königs Gesandte, zogen diese kleinen Boten eines armen und machtlosen Volkes dahin, und wenn sie einander auf dem Wege trafen und gemeinsam die Reise fortsetzten, sprachen sie erregt über das, was geschehen würde, und je mehr sie sprachen, desto mehr erregten sie sich. Und je mehr sie einander die Seele erregten, desto gewisser ward ihnen allen, sie würden Zeugen sein eines Wunders und der lang verkündeten Wende im Schicksal ihres Volkes.
Und nun warteten sie alle zusammen, ein wirrer und heißer Schwärm redender, eifernder, ratender und fragender Männer im Bethaus zu Pera. Da kam der Knabe, den sie ungeduldig vorausgesandt, keuchend herangelaufen, von der Ferne schon ein Tuch schwingend über dem Haupt, zum Zeichen, daß Benjamin Marnefesch, der ersehnte Gast, von Byzanz kommend mit einem Boote gelandet sei. Die noch saßen, sprangen auf, die eben noch geschrien und geeifert, standen stumm, und einem von ihnen, einem Uralten, versagte vor Erregung die Kraft: ohnmächtig stürzte er hin im Aufruhr der erschütterten Sinne. Keiner aber, auch der Vorsteher nicht, wagte dem Erwarteten entgegenzugehen. Angehaltenen Atems standen sie wartend, und als Benjamin, von Jojakim geführt, weißbärtig und mächtig mit seinem dunkel blitzenden Blick, dem Hause nahte, schien er ihnen Samuel, geführt von dem Knaben, eine Erzvätergestalt, der wahrhaftige Herr und Meister des Wunders. Jäh brach jetzt aus ihnen allen die niedergedämmte Begeisterung. »Gesegnet dein Kommen! Gesegnet dein Name!« jauchzten sie ihm entgegen. Mit einem Sturz umringten sie ihn. Sie küßten sein Gewand, und die Tränen liefen ihnen über die verdorrten Wangen, sie drängten und stießen einander, um jeder mit dem Finger fromm den heiligen Arm zu berühren, den der Leuchter des Herrn zerschlagen, und schützend mußte der Vorsteher sich vor den Greis hinstellen, sonst hätte der Überschwang der trunkenen Männer ihn erdrückt. Benjamin erschrak mächtig über die Wildheit ihrer gläubigen Inbrunst. Was wollten, was hofften sie von ihm? Eine jähe Angst überkam ihn vor der Last der ungeheuren Erwartung, die sie auf ihn häuften. Leise und dringlich wehrte er ab.
»Nicht schauet so auf mich und überhebet mich nicht, auf daß ich nicht selbst mich überhebe! Nicht erwartet ein Wunder von mir! Bescheidet euch, geduldig zu hoffen! Denn es ist Sünde, ein Wunder zu fordern wie eine
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