Steh dir nicht im Weg
Er hatte Angst, dass die Situation ihn überforderte und wehrte sich innerlich gegen die Last, die die neue Verantwortung für ihn darstellte. Er hat jedoch gelernt, sich erfolgreich mit seinen negativen Gedanken – »Werden die Patienten mich überhaupt akzeptieren? Ich habe Angst, Fehler zu machen. Ich will diese Verantwortung nicht, was ist, wenn ich versage?« – auseinander zu setzen und sich selbst dadurch die Erlaubnis gegeben, ein anderes inneres Bild von sich zu entwickeln: nicht mehr klein, verzagt und unsicher, sondern fähig und selbstverantwortlich.
Zeig keine Gefühle
Ein kleines Kind rennt, fällt hin, schlägt sich das Knie auf und weint. Es läuft zur Mutter, die sieht sich den Schaden kurz an und meint dann: »Hör auf zu weinen, das tut doch schon gar nicht mehr weh!« So macht das Kind die erste Erfahrung, dass seine Gefühle nicht anerkannt werden – sie werden einfach geleugnet. Wenn es traurig ist, weil ein Lieblingsspielzeug zerbrochen ist, sagt man ihm kühl, dass es eben hätte besser aufpassen müssen. Wenn es ärgerlich ist, weil es ins Bett muss, obwohl es so gern noch ein bisschen gespielt hätte, |201| wird ihm erklärt, dass es gar keinen Grund gibt ärgerlich zu sein – schließlich müsse es jeden Abend um diese Zeit ins Bett. Ein ritueller Gute-Nacht-Kuss ist das Maximum an Körperkontakt; gesprochen wird über Gefühle schon gar nicht.
Von Eltern, die selbst keine Erlaubnis besitzen, ihre Gefühle zu zeigen, weil sie sie als schwierig oder gar bedrohlich erleben, lernt ein Kind, dass seine Emotionen nicht erwünscht sind. Es macht immer wieder die Erfahrung, dass es ihm besser geht, wenn es keine zeigt. Es lernt daher, seine eigenen emotionalen Reaktionen zu unterdrücken und sich rational und sachlich zu verhalten. Das kann man am besten erreichen, wenn man bereits die Wahrnehmung der Emotionen blockiert. Menschen mit der Einschärfung »Zeig keine Gefühle« nehmen deshalb ihre Gefühle erst dann wahr, wenn sie mit großer Heftigkeit auftreten. Das löst meist die Angst aus, vom Gefühl überflutet zu werden, und bestätigt sie noch darin, dass Gefühle etwas Bedrohliches sind.
Weil jemand mit dieser Einschärfung es sein Leben lang vermieden hat, mit seinen Gefühlen in Kontakt zu kommen, kann er sie meistens auch sprachlich nicht fassen. Er ist nur daran gewöhnt, sie durch seine Gedanken stark abzuwerten. Fragt man ihn, wie er sich in einer bestimmten Situation fühlt, kommt selten mehr als ein allgemeines »gut«, »schlecht« oder »komisch«, dafür aber eine logische Analyse, weshalb die Situation so ist, oder ein Statement, was zu tun ist. Solche Menschen wirken auf andere meist kühl und emotionslos.
Der Versuch, das Leben mit Logik in den Griff zu kriegen, bereitet spätestens in der Partnerschaft große Schwierigkeiten. Wenn der Partner emotionale Probleme hat und Verständnis sucht, hilft Logik nicht weiter, sondern führt eher zu Konflikten. Die Aufforderung »Nun sei doch nicht so hysterisch«, gerichtet an jemanden, der sich ausweinen will oder Ärger rauslassen muss, mag ja aufbauend gemeint sein – gut ankommen wird sie nicht. Sie ist der Situation auch nicht angemessen.
Auch wenn der Partner sich wünscht, mehr Ausdruck von Liebe |202| und Zuneigung zu erhalten, wird es schwierig. Diese Gefühle und alle anderen sind sicherlich vorhanden, aber es fehlt eben die Erlaubnis, sie auch zu äußern. Dazu kommen oft große Befürchtungen, was passiert, wenn man seine Gefühle offen zeigt. Geprägt durch die Einschärfung hat man Angst, nicht mehr akzeptiert zu werden, so wie die Eltern das Zeigen von Gefühlen nicht akzeptiert haben, als man klein war. Und manchmal ist auch die Angst da, dass die anderen mit so viel Gefühl gar nicht umgehen können und dass man ihnen das auch gar nicht zumuten darf. Automatisierte negative Gedanken können bei dieser Einschärfung etwa so lauten:
Ich muss sachlich bleiben.
Sei nicht hysterisch!
Ein Indianer kennt keinen Schmerz.
Verhalte dich nicht wie ein heulendes Kleinkind.
Wenn ich meine Gefühle zeige, mache ich mich lächerlich.
Ich ertrage so viel Gefühl nicht.
Ich darf das anderen nicht zumuten.
Ich bin stark und kein Schlappschwanz.
Wer Gefühle zeigt, wird nur fertig gemacht.
Sei kein Kind
Das Kind möchte so gern noch spielen, aber es hat keine Zeit, denn es muss auf die kleinen Geschwister aufpassen. Statt einfach nur zu tun, wonach ihm der Sinn steht, trägt es schon Verantwortung. Es hat sehr früh gelernt,
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