Steh dir nicht im Weg
dass es gescholten wird, wenn es sich wie ein sorgloses Kind verhält, dass es aber Anerkennung bekommt, wenn es die Pflichten eines Erwachsenen übernimmt. Vielleicht geht es ja auch gar nicht anders, weil niemand sonst Zeit hat, die Kleineren zu beaufsichtigen – für das Kind heißt es aber auf jeden Fall, dass es nicht viele Möglichkeiten hat, seine kindgerechten Bedürfnisse auszuleben, sich im Spiel gänzlich zu verlieren, herumzutrödeln oder seinen Tagträumen nachzuhängen.
|203| Ein anderes Kind möchte auch gern spielen, aber es muss sich dabei gut benehmen: Es darf seine Hände nicht schmutzig machen, seine Kleider selbstverständlich auch nicht, es darf keine Unordnung machen und auf gar keinen Fall Mama und Papa belästigen. Es darf eigentlich nur eins: nämlich Ruhe geben und sich wie ein kleiner Erwachsener verhalten. Dann sind die Eltern zufrieden und das Kind wird dafür gelobt, dass es so vernünftig ist. Ausgelassen sein, herumtoben, einmal ganz unbändig sein – all das, was auch zum Kind sein gehört, lässt diese Dressur nicht zu.
Wer auf die eine oder andere Weise die Botschaft »Sei kein Kind« mitbekommen hat, tut sich auch als Erwachsener schwer, Zeit ganz allein für sich zu beanspruchen, bei Festen ausgelassen zu feiern oder die eigenen Bedürfnisse einmal in den Vordergrund zu stellen. Mit dieser Einschärfung übernimmt man auch als Erwachsener viel Verantwortung für andere Menschen. Manchmal übertrieben viel, denn man fühlt sich immer noch für die eigenen »Kinder« verantwortlich, obwohl die seit zwanzig Jahren erwachsen sind; oder man traut aus Überfürsorglichkeit den Mitarbeitern nichts zu und macht deshalb viel zu viel selbst. Dass man selbst die Verantwortung tragen muss, hat sich so tief eingeprägt, dass man dabei leicht übersieht, dass man auf diese Weise die anderen zwar unterstützt, aber auch klein macht. Die automatisierten Gedanken, die diese Haltung festigen, könnten unter anderem so lauten:
Ich muss die Verantwortung übernehmen.
Die anderen brauchen mich.
Ich darf nicht egoistisch sein.
Ich darf mich nicht gehen lassen.
So albern zu sein gehört sich nicht.
So ein Benehmen ist ja kindisch.
Wenn ich nur nach meinen Bedürfnissen lebe, will keiner mehr etwas mit mir zu tun haben.
Wenn ich das tue, was ich wirklich will, akzeptiert mich meine Familie nicht mehr.
|204| Sei nicht gesund
Die Einschärfung »Sei nicht gesund« wird Kindern wahrscheinlich nicht besonders häufig mitgegeben, aber es kommt vor. Wenn ein Elternteil aufgrund des eigenen Lebensskripts das Gefühl benötigt, gebraucht zu werden, wird es das Kind geradezu überfürsorglich betreuen. Aus jeder kleinen Beule wird eine große Angelegenheit gemacht, und jedes Niesen wird zu einer Grippe hochstilisiert. Möglicherweise reden die Eltern dem Kind auch ein, dass es eine schwache Gesundheit habe und gut auf sich Acht geben müsse. Das Kind spürt schnell, mit welcher Begeisterung Mutter oder Vater auf jedes Symptom reagieren. So lernt auch das Kind, alle möglichen Anzeichen einer Krankheit immer gut im Auge zu haben. Und wenn man sich gut darauf konzentriert, dann zwickt und zwackt es einen immer irgendwo.
Vielleicht hat das Kind aber auch einfach gelernt, dass es besonders interessant zu sein scheint, wenn es krank ist, denn dann kümmern sich die Eltern besonders liebevoll um es. Wenn Kranksein hauptsächlich Vorteile bringt, nimmt man jede Krankheit dankbar an. Und wenn man in dauernder Angst vor Krankheiten lebt, produziert man vielleicht genügend inneren Stress, dass die Abwehr davon tatsächlich so geschwächt ist, dass man sich jeden Krankheitserreger einfängt.
Menschen mit der Einschärfung »Sei nicht gesund« schränken sich unter Hinweis auf ihre schwache Gesundheit mit folgenden hinderlichen Gedanken ein:
Das kann ich nicht, dazu bin ich zu empfindlich.
Das traue ich mir nicht zu, mit meiner Gesundheit.
Ich kriege bestimmt wieder eine Erkältung/Grippe/Kopfschmerzen/Magenschmerzen.
Was passiert, wenn es mir dort (im Urlaub/in einem fremden Land) ganz schlecht geht?
Ich kann nirgendwo hingehen, wo kein Arzt in der Nähe ist.
|205| Es ist schrecklich, wenn man nie ganz gesund ist.
Ich fühle mich scheußlich.
Sei nicht du
Die Einschärfung »Sei nicht du« kann in zwei Varianten erscheinen. Zum einen kann sie sich auf das Geschlecht beziehen, also »Sei kein Mädchen« oder »Sei kein Junge«. Das kann passieren, wenn die Eltern sich sehnlichst eine Tochter beziehungsweise einen
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