Steh zu dir
eine Reihe weiterer Zeugenaussagen. Alles deutete darauf hin, dass außer dem Jungen mit dem Messer alle anderen Attentäter bei dem Anschlag ums Leben gekommen waren.
Matthieu erzählte ihr von den Fällen, an denen er gerade arbeitete, und betonte noch einmal, dass er sich zur Ruhe setzen wolle. Sie hielt das für keine gute Idee, solange er sich keine andere Beschäftigung gesucht hatte, die ihn ausfüllte.
»Du bist zu jung, um dich zur Ruhe zu setzen«, beharrte sie.
»Ich wünschte, das wäre so. Was ist mit deinem Buch?«, wechselte er das Thema. »Hast du noch einmal darüber nachgedacht?«
»Das habe ich«, bejahte sie. Aber momentan war sie noch nicht so weit, sich wieder an die Arbeit zu begeben. Sie hatte zu vieles andere im Kopf – ihn zum Beispiel. Er füllte Tag und Nacht ihre Gedanken, und sie versuchte vergeblich, dem zu widerstehen. Wahrscheinlich war es gut, dass ihre Abreise näher rückte, bevor die Dinge so wie früher außer Kontrolle gerieten.
Die intelligenten Gespräche mit Matthieu spornten Caroles Verstand an. Das tat ihr gut, und sie spürte, wie sie geistig agiler wurde.
Zum Abschied küssten sie sich wieder. Es ging dabei ebenso um die Vergangenheit wie um die Gegenwart, war eine Mischung aus Verlangen und Trauer, Freude und Angst.
Am nächsten Morgen beim Frühstück brachte Stevie Carole die Zeitungen. Sie hatte einen ganzen Stapel dabei.
Carole und Matthieu zierten sämtliche Titelseiten. Er sah auf dem Foto überrascht und grimmig aus, während Carole in die Kamera lächelte. Offenbar hatte man das zweite Foto verwendet. Die Narbe auf ihrer Wange war kaum zu sehen. Vor allem die Herald Tribune hatte ihre Hausaufgaben gemacht und Matthieu nicht nur wie die anderen Zeitungen als ehemaligen Innenminister identifiziert. Irgendein besonders emsiger Journalist hatte offenbar in den Archiven ein altes Foto von ihnen beiden gefunden. Es war ein schönes Bild, aufgenommen auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung in Versailles. Carole erinnerte sich sofort daran. Sie waren damals getrennt zu der Party gegangen, weil Matthieu in Begleitung von Arlette war. Carole war mit einem Schauspielkollegen da, der gerade in Paris zu Besuch war. Sie gaben ein Traumpaar ab und wurden ununterbrochen fotografiert. Was allerdings nicht einmal seine Fans wussten: Ihr Kollege war schwul. Für Carole war er die perfekte Tarnung.
Später an jenem Abend hatten sie und Matthieu sich kurz im Garten getroffen. Während sie sich flüsternd unterhielten, wurden sie von einem Fotografen entdeckt. Am nächsten Tag lautete die Bildunterschrift: »Matthieu de Billancourt, Innenminister, unterhält sich mit dem amerikanischen Filmstar Carole Barber.« Sie hatten Glück gehabt. Niemand schöpfte Verdacht. Nur seine Frau war außer sich, als sie das Foto sah.
Dieses Mal waren die beiden Fotos, das alte aus Versailles und das neue vor dem Ritz, nebeneinander abgedruckt, und die Unterschrift lautete ein bisschen anders: »Damals und heute. Ist uns da etwas entgangen?« Der Text warf eine Frage auf – mehr nicht. Und Carole war sicher, dass sie keine Antwort finden würden. Sie hatten ihre Spuren gut verwischt. Und heute waren sie nur zwei Menschen, die gemeinsam ein Hotel betraten, alte Freunde vielleicht. Sie waren beide verwitwet und Matthieu nicht mehr Innenminister. Daraus konnte man keine große Geschichte machen.
Matthieu rief Carole sofort an. Er war wütend, weil er derartige Anspielungen nicht leiden konnte. Carole war daran gewöhnt.
»Das ist so was von dumm!«, schimpfte er.
»Ganz im Gegenteil. Ich finde es ziemlich clever. Sie müssen ganz schön tief gegraben haben, um dieses alte Foto zu finden. Ich erinnere mich noch daran, wie es entstanden ist. Du warst mit Arlette auf der Party und konntest kaum ein Wort mit mir reden. Ich war damals schon schwanger.« Caroles Stimme kippte leicht, als sie das sagte. Nach der Party hatten sie gestritten, es war die erste Auseinandersetzung von vielen gewesen. Es war kein angenehmer Abend für sie beide, und vielleicht ärgerte sich Matthieu auch deshalb über das Foto. Er wollte nicht daran erinnert werden. »Es ist die Sache nicht wert, sich darüber aufzuregen«, sagte Carole schließlich. »Wir können doch nichts dagegen tun.«
»Möchtest du, dass wir vorsichtiger sind?«, fragte er zögernd.
»Nein«, sagte sie nach kurzem Überlegen. »Wir sind beide ungebunden, und in ein paar Tagen reise ich ohnehin ab. Wir tun niemandem weh. Und wenn uns jemand
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