Stehaufmädchen: Wie ich mich nach dem Attentat meines Stiefvaters zur Boxweltmeisterschaft zurückkämpfe (German Edition)
eigens entwickelt, damit sich Kampfsportler verschiedener Richtungen miteinander messen können. Es erlaubt alle Schläge, die beim Boxen erlaubt sind, dazu Kicks auf Oberschenkel, Oberkörper und sogar zum Kopf, auch Kicks mit dem Knie. Es mischt also Thaiboxen, Boxen, Kickboxen und andere Kampfsportarten – eine harte und rasante Sportart. Das alles trainierte ich nur, um an möglichst vielen Wettkämpfen teilnehmen zu können, weil es zu wenige Gegnerinnen für mich gab. Jemanden zu finden, der gegen mich antrat, war jedoch trotz der vielen Disziplinen unheimlich schwierig. Ich wusste aber inzwischen genau, was ich wollte: Boxprofi werden. Und Weltmeisterin im Frauenboxen.
Mein Sport war in dieser Zeit mein Lebensinhalt, sonst hätte ich auch nie so erfolgreich werden können. Es war dieses Gefühl, da oben im Ring zu stehen, das mich immer motivierte. Das Training an sich machte ja keinen großen Spaß. Kein Mensch kann behaupten, dass die Vorbereitung auf einen Kampf irgendwie lustig oder angenehm wäre. Sie quält einen, sie geht einem an die Substanz. Aber alles nahm ich hin, verzichtete auf Freizeit, nur um wieder dieses Gefühl genießen zu dürfen, wenn ich da oben im Ring stand und kämpfte. Was das Leben sonst noch zu bieten hatte, davon hatte ich gar keine Vorstellung.
Mit meinem 18. Geburtstag platzte schließlich der Knoten. Sportlich, nicht privat. Denn als Erwachsene durfte ich jetzt auch gegen Erwachsene kämpfen, ohne dass sie es ablehnen konnten. Zu Hause wurde ich jedoch nicht wie eine Erwachsene behandelt, die alle Freiheiten hat, sondern wie eine Jugendliche, die zwar viel Verantwortung trägt, aber doch weiterhin das Kind ihrer Eltern ist.
Die Geburtstagsfeier gestaltete mein Vater wie immer mit allem, was man sich vorstellen konnte. Wir hatten etwa 50 bis 60 Gäste im Haus. Es war ein sehr schönes Fest. Mein Vater, der sonst immer so großzügig war, überreichte mir ein winziges Geschenk. Ein Billigparfum. Ich war geschockt, aber ich tat so, als würde ich mich riesig freuen, und bedankte mich überschwänglich, weil ich ja nicht materialistisch erscheinen wollte. Aber ich war eigentlich etwas anderes gewohnt von meinem Vater. Normalerweise war es immer etwas Besonderes, wenn ich etwas bekam. Da sagte er plötzlich: »Ah ja, ich habe noch etwas vergessen. Komm mal mit!« Draußen vor der Tür stand ein nagelneuer Kleinwagen mit einer riesigen Schleife und Rosen drum herum. Das war sein Geschenk für mich. Den Führerschein hatte er mir schon bezahlt. So war mein Vater.
Mit 18 durfte ich dann auch das allererste Mal allein mit einer Schulfreundin in die Stadt zum Shoppen. Mir war das aber gar nicht so wichtig, weil es jetzt endlich beim Boxen voranging.
Kurz nach meinem Geburtstag durfte ich mit der bayerischen Auswahl zur Deutschen Meisterschaft fahren und wurde dann prompt Meisterin. Von den Verbänden gab es jetzt mehr Förderung für das Frauenboxen, denn jetzt, 2003, gab es die erste Deutsche Meisterschaft im Frauenboxen und dadurch die offizielle Anerkennung meines Sports durch den Deutschen Boxverband. Es gab mehr Wettkämpfe und auch mehr Trainingslager. So war ich also in meiner Gewichtsklasse die erste Deutsche Meisterin, die es im Frauenboxen je gab.
Als Volljährige hatte ich jetzt im Sport viel mehr Möglichkeiten. Es zählte jetzt nur noch meine Gewichtsklasse, nicht mehr das Alter. Unter 18-Jährige werden zusätzlich in Altersklassen eingeteilt, und eine Gegnerin, die in einer anderen Altersklasse boxt, kann abgelehnt werden, wenn sie einem zu gefährlich erscheint. Jetzt aber konnte mich, gerade bei Meisterschaften, keine Gegnerin mehr mit dem Altersargument ablehnen, sich keine mehr vor mir drücken. Jetzt, wo das Alter keine Rolle mehr spielte, fand ich endlich Gegnerinnen. Wer auf eine Meisterschaft fährt, kann sich nicht drücken – da bekommt man seine Kämpfe zugewiesen und boxt, oder man fährt gleich wieder nach Hause. Wenn ich nun zu einem Turnier fuhr, war also klar, dass ich auch einen Kampf bekommen würde.
Das Abitur parallel zum Sport zu machen wurde einer der schwersten Kämpfe in dieser Zeit. Es war etwas, das ich nicht wollte, aber von zu Hause aus leisten musste. Im Nachhinein bin ich meinen Eltern dankbar für ihre Strenge, aber damals war ich unzufrieden. Ich habe nur das Nötigste gelernt und mich lediglich auf den Sport fixiert. »Hauptsache, bestehen« war mein Motto in der Schule. In der zwölften Klasse ging das gerade noch gut, aber in
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