Stehaufmädchen: Wie ich mich nach dem Attentat meines Stiefvaters zur Boxweltmeisterschaft zurückkämpfe (German Edition)
an, die für ihn arbeiten und seinen Stil weitergeben. Er nimmt erfolgversprechende Boxer unter Vertrag, die dann unter seiner Flagge trainieren und kämpfen, und das meist über viele Jahre hinweg. Erfolg bedeutet dabei aber nicht nur sportlichen Erfolg, sondern auch Erfolg auf dem Markt: Sponsorenverträge, Werbung, Fernsehübertragungen von Kämpfen, Kämpfe in großen Hallen und mit vielen Zuschauern. Denn daran verdient der Boxstall.
Die Box-Promoter, also der oder die Chefs des Boxstalls, organisieren Kämpfe und Veranstaltungen, sie vermarkten den Profiboxer. Sie handeln auch die Kampfbörsen aus, das heißt, wie viel ein Boxer und sein Gegner an einem Kampf verdienen. Von allen Einnahmen, die der Boxer aus Verträgen und von Kämpfen zustehen, bekommt der Boxstall seinen Anteil. Für das Training und die Wettkampfvorbereitungen engagieren Boxställe Trainer und schneidern die Pläne und Übungen genau auf jeden der Sportler zu. Wer als Boxer einen Vertrag bei einem Boxstall hat, ist nicht wie ein Angestellter einer Firma, aber er wird rundum versorgt und hat eine gewisse Sicherheit. Dafür gibt er eben einen bestimmten Prozentsatz seiner Einnahmen ab. Ein Stall, der viele erfolgreiche Boxer unter Vertrag hat, kann es sich dadurch leisten, Nachwuchs zu fördern und aufzubauen, und kann bei den großen Events in den Vorkämpfen auch mal Newcomer in den Ring schicken. Das tut der Box-Promoter aber nur, wenn er sich von diesen Leuten auch finanziellen Erfolg verspricht. Der Boxer muss sich für den Boxstall am Ende rechnen und das wieder einspielen, was in ihn investiert wurde. Und genau da lag für mich das Problem.
Sportlich bekam ich von den Verantwortlichen in den Boxställen nur Lob. »Rola, du bist super«, hieß es regelmäßig, »sportlich bringst du alles mit. Du siehst gut aus, du bist kein Mannsweib, das man nicht vermarkten könnte. Du bist höflich und gepflegt, du kannst gut auftreten. Aber du hast keine Geschichte.« Immer dieselbe Ablehnung – eine Boxerin ohne Geschichte. Ein nettes Mädel von nebenan, das kein Markenzeichen hat, das sich nicht einmal als arrogante Zicke vermarkten lässt. Die kann man nicht promoten. Damit verdient man nichts. Jeder einzelne Boxpromoter gab mir dieselbe Antwort.
In der Tat, ich habe nicht wie Regina Halmich dem Moderator Stefan Raab live im Fernsehen die Nase gebrochen, ich bin auch nicht wie Susi Kentikian auf einem Asylbewerberschiff aufgewachsen. Ich war immer integriert, habe Abitur gemacht und lebte ein ganz normales Leben. Dass meine Eltern mit mir als Baby vor dem Krieg im Libanon geflohen sind, reichte den Boxställen als Geschichte nicht. Von diesen Familien gab es in Deutschland genug, das war nichts Besonderes mehr. Es stimmt ja auch – Flüchtlingskind zu sein macht mich nicht zu einem außergewöhnlichen Menschen, auch nicht zu einer besseren Boxerin. Eine vermeintlich spannendere Flüchtlingskindgeschichte wollten wir aber nicht erfinden. So haben mir alle Boxställe eiskalt die Tür vor der Nase zugeschlagen. Da konnte ich boxen, so gut ich wollte. Keine Geschichte, kein Vertrag.
Um als Boxerin erfolgreich zu sein, braucht man heute eine Story. Bei den Männern reicht es dagegen oft schon aus, Geld zu haben. Mit Geld kann man in diesem Sport alles schaffen. Mit Geld wird aus einem 08/15-Boxer ein Weltmeister. Mit Geld gewinnt man sogar den einen oder anderen Kampf. Aber das ist unfair. Und es geht sogar so weit, dass jemand, der alles mitbringt außer Geld, es nicht schaffen kann.
Genau so war es bei mir. Ich habe sportlich alles mitgebracht, hatte aber eben nicht viel Geld und keine Geschichte, um mich zu vermarkten. Im Grunde ist das Profiboxen heute meiner Meinung nach ein korruptes System, bei den Männern noch mehr als bei den Frauen. Ich kann mir vorstellen, dass die Verbände geschmiert werden, damit dieser oder jener ein wenig länger Weltmeister bleiben kann.Womöglich reicht manchmal schon ein bisschen mehr Geld für den Verband, damit ein Kampf zum Sieg nach Punkten erklärt wird. Auch das ist unfair. Ich vermute, dass es diese Mechanismen in jeder Profi-Sportart gibt, aber weil ich sie beim Boxen selbst zu spüren bekam, regt es mich hier eben besonders auf.
Beim Boxen steht ein Mensch allein im Ring, es ist sein persönlicher Sieg oder seine persönliche Niederlage. Das ist kein Teamsport wie Fußball, wo elf Spieler auf dem Feld stehen und nach einem verlorenen Spiel 20 oder 30 Leute an dem schlechten Gefühl knabbern.
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