Stehaufmädchen: Wie ich mich nach dem Attentat meines Stiefvaters zur Boxweltmeisterschaft zurückkämpfe (German Edition)
hier?«, fragte ich ihn, und er fragte mich dasselbe. Zum ersten Mal unterhielten wir uns bewusst in der Realität miteinander, seit wir uns über Facebook kennengelernt hatte. Das kurze Treffen im Gym zähle ich nicht mit. Kosta war an dem Disco-Abend schon leicht angetrunken, das fand ich lustig. Wir redeten erst darüber, was wir uns alles geschrieben hatten, und kamen dann richtig ins Gespräch. An diesem Abend ist er mir wirklich sympathisch geworden – aber immer noch auf einer freundschaftlichen Ebene. Für ihn war es da wohl schon mehr. Er schrieb danach nämlich noch öfter.
Was mich an ihm begeisterte und immer noch begeistert, ist seine ganze Art, wie er ins Leben geht und die Dinge sieht. Anfangs redeten wir ja einfach über das Leben, über Gott, über Familie, über den Alltag, und da gefiel mir seine Einstellung. Er brachte genau das mit, was ich schon immer von meinem zukünftigen Mann erwartet hatte.
Zum Beispiel seine Vorstellung einer Beziehung zwischen Mann und Frau, die gefiel mir, weil sie meiner eigenen entsprach. Eine klassische Rollenverteilung, ohne dass die Frau unterdrückt ist. Der Mann kann und soll das Familienoberhaupt sein, das finde ich gut – aber nicht so wie in meiner Familie, wo der Vater alles befiehlt und alle anderen nur zu nicken haben. Ein Mann sollte männlich sein, stark und sollte sich um seine Familie kümmern, ein Schutzschild sein für die Familie. Die Frau muss aber in der Partnerschaft auch ihre Rechte haben, ein gleichberechtigter Mensch sein, und in der Beziehung sollte es ein gesundes Verhältnis von Stärke und Schwäche geben. Nicht, dass die Frau das schwache Glied sein soll, aber sie muss auch eine weiche Seite zeigen können, ohne untergebuttert zu werden. In dieser Hinsicht waren Kosta und ich genau auf der gleichen Wellenlänge.
Mir war die ganze Situation im Grunde unheimlich. Ich spürte sein Interesse, aber ich wollte nicht zulassen, dass es mir auch so ging. Ich wollte den Kontakt einerseits schon, aber andererseits wollte ich mich auf den Sport konzentrieren. Es gab die eine Rola, die sagte: »Ja, diesen Kosta finde ich richtig gut.« Und es gab die andere Rola, die sagte: »Mensch, Mädel, du verrennst dich da in was. Lass diesen Schwachsinn, denn der lenkt dich nur von deinem Leben und deinen Zielen ab.«
Aber wie es das Schicksal manchmal so will, liefen wir uns von nun an im Training immer häufiger über den Weg, dann trafen wir uns zufällig beim Konzert von DJ Antoine, 20 Kilometer von Ulm entfernt. Ich hatte den Eindruck, dass überall, wo ich hinging, Kosta schon da war.
Aber nicht nur er war plötzlich in mein Leben getreten, sondern es gab da nun auch dieses Gefühl, das ich bisher noch nicht gekannt hatte. Ich wusste gar nicht, was mit mir passierte, aber ich freute mich über jede Nachricht von ihm, fand jede Begegnung schön. Zuerst konnte ich das neue Gefühl noch nicht genießen, weil da immer noch die Rola war, die sagte: »Ach, Mädchen, das ist es doch, wovon du gelesen hast oder wovon dir die anderen Mädchen erzählt haben. Das, wovon du dachtest, dass es dir nie passieren würde, weil du viel zu abgeklärt bist, du viel zu fest im Leben stehst, als dass dir so etwas passieren könnte – dass du dich verliebst.«
Verliebtsein war für mich anfangs erschreckend, aber natürlich auch schön. Verliebtsein ist von sich aus schön, nur fühlt es sich beim ersten Mal so fremd an, dass man Angst bekommt und nicht weiß, was mit einem passiert.
Bestimmt drei Monate lang wehrte ich mich gegen meine Gefühle. Kosta hatte mir natürlich verraten, dass er noch verheiratet war und sich eben erst von seiner Frau getrennt hatte, aber das war nicht der Grund, warum ich zögerte. Das Verliebtsein gestand ich mir nur im Geheimen ein, aber eigentlich wollte ich in dieser Zeit noch, dass es wieder vergeht. Dass mein Vater besonders wegen Kostas Scheidung gegen eine Beziehung sein würde, war mir klar, und auch, dass damit alles anders werden würde. Aber ich wollte mir selbst nicht alles kaputt machen, dachte ich. Es würde nur Theater geben, das Leben schrecklich kompliziert machen.
Doch gegen die Liebe konnte ich mich nicht ewig wehren. Irgendwann ließ ich sie schließlich zu, und dann war alles wundervoll. Die Welt war rosarot, und der schönste Mann dieser rosaroten Welt stand vor mir. Ich hätte mir selbst sagen, vorwerfen und denken können, was ich wollte – mein Herz sagte etwas anderes. Und meinem Herzen musste ich folgen.
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