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Stehaufmädchen: Wie ich mich nach dem Attentat meines Stiefvaters zur Boxweltmeisterschaft zurückkämpfe (German Edition)

Stehaufmädchen: Wie ich mich nach dem Attentat meines Stiefvaters zur Boxweltmeisterschaft zurückkämpfe (German Edition)

Titel: Stehaufmädchen: Wie ich mich nach dem Attentat meines Stiefvaters zur Boxweltmeisterschaft zurückkämpfe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicia Englmann , Rola El-Halabi
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gleich, dass ich genervt bin ...
    Meine Mama heißt Hoda. Sie ist von Natur aus ein sehr ruhiger, zurückgezogener Mensch, sehr liebevoll und fürsorglich, aber manchmal lässt sie sich auch zu viel von anderen vorschreiben. In sehr vielem, das ihr Wesen ausmacht, erkenne ich mich selbst wieder. Und doch sind unsere Geschichten völlig unterschiedlich.
    Meine Mutter musste im Libanon einen Mann heiraten, den sie nicht wollte und nie liebte – weil ihre Familie das so für sie vorgesehen hatte. Sie bekam mich und zog mit Mann und Kind nach Deutschland, wo sie wieder schwanger wurde. Von ihrem Mann konnte sie wenig erwarten, der kümmerte sich nicht um die Familie und schlug sie. Dann lernte sie Hicham El-Halabi kennen, und irgendwann verliebten sich die beiden. Nachdem mein Vater uns verlassen hatte, war Hicham da und sorgte für sie und uns Kinder. Sie konnte sich dem Haushalt und unserer Erziehung widmen, mehr Verantwortung oder Zuständigkeit hatte sie in der Familie nicht. Daher war sie fast immer zu Hause.
    Einerseits, denke ich, war sie froh, dass sie jemanden gefunden hatte, der sie und uns Kinder annahm, obwohl er unseren leiblichen Vater kannte und wusste, was dieser für ein Mensch war. Andererseits hat sie meinem neuen Papa in der Beziehung auch sehr viel durchgehen lassen. Er erzog uns sehr streng, was meine Mutter nicht befürwortete und wozu sie heute sagt, dass sie es allein anders gemacht hätte. Aber sie widersprach nicht. In meinen Augen ist das eine typisch arabische Einstellung. Dieses Schweigen gründet in der Tatsache, dass der Mann ja auch Gutes tut, dass er uns nicht nur ernährt, sondern mit uns in die schönsten Urlaube fährt, wir ein Auto haben und die tollsten Klamotten, er uns mit Geschenken überschüttet. Das war für meine Mutter Entschuldigung und Wiedergutmachung für alle Fehler meines Vaters, die sie ihm gegenüber niemals ansprach, niemals kritisierte.
    Dieses Verhalten übernahm ich von ihr und legte es lange, lange Zeit nicht ab. Auch ich wehrte mich ja nicht gegen den Vater, sondern nahm alles hin, ganz im Gegensatz zu meiner Schwester, die sich schon früh ihre Freiheiten erkämpfte. Ich wollte ihm alles recht machen, suchte Harmonie und passte mich an. Diese Konfliktscheu von Seiten der Frauen, wenn es um Familienangelegenheiten geht – auch sie ist meiner Ansicht nach typisch arabisch. Der Mann wird als unangreifbares Familienoberhaupt gesehen, seine Entscheidungen werden kritiklos hingenommen.
    Doch nicht nur die Entscheidungen, auch die Gewaltausbrüche meines Papas duldete meine Mutter einfach. Sie hatte nie den Mut und die Kraft, sich gegen ihn zu wehren oder gar durchzusetzen. Nie zeigte sie ihm Grenzen auf, er konnte einfach tun, was er wollte. Indem unsere Mutter uns Mädchen das vorlebte, prägte sie uns natürlich. Meine Schwester Katja offenbar weniger als mich, aber ich sehe mich schon manchmal in der Rolle derjenigen, die zu allem Ja sagte. Wie damals in der Schule, als ich gehänselt wurde. Nur dass meine Mutter mich in der Schule vor den Kindern beschützte, zu Hause aber nicht vor den Schlägen meines Vaters.
    Als mein Bruder Bassam geboren wurde, das einzige leibliche Kind meines Vaters und dann auch noch ein Junge, änderte sich unser Familienleben. Wir merkten, dass er den Sohn nie schlug, uns aber schon. Wir Mädchen sahen, dass unser Vater Bassam anders behandelte als uns, aber unsere Mutter wollte davon nichts hören. Sie verdrängte einfach, was geschah, wollte ihre Friede-Freude-Eierkuchen-Familie erhalten, indem sie sich selbst zurücknahm, Teile ihrer Verantwortung aufgab und ihre Meinung manchmal gar nicht erst kundtat. Das führte so weit, dass mein Papa wichtige Familienentscheidungen mit mir besprach anstatt mit meiner Mutter, obwohl ich in der Zeit erst 17 oder 18 Jahre alt war. Das fand ich damals schon respektlos meiner Mutter gegenüber.
    Aber ich mache meiner Mama keine Vorwürfe. Schließlich ist sie ganz anders aufgewachsen als ich, sie konnte nicht über den Schatten ihrer Erziehung und Kultur springen. Ihr wurde beigebracht, alles zu ertragen, zu allem Ja zu sagen. Für meine Mama tut mir das leid. Schon allein, dass sie den Mann heiraten musste, den ihr die Familie vorsetzte, tut mir leid.
    Ich dagegen wurde von meinen beiden Eltern so erzogen, mir nichts wegnehmen zu lassen, mir nichts bieten zu lassen und für das zu kämpfen, was mir gehört und mir zusteht. Man kann meiner Mutter nicht vorwerfen, dass sie so ist, wie sie ist.

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