Stehaufmädchen: Wie ich mich nach dem Attentat meines Stiefvaters zur Boxweltmeisterschaft zurückkämpfe (German Edition)
anderen Sportlerin zu arbeiten war natürlich sein gutes Recht, aber die Gürtel an sich gehörten nicht ihm als Manager, sondern mir, der Boxerin, persönlich. Damit traf er mich wirklich, als Sportlerin und als Mensch. Denn als Lucia ihren Kampf gewann, hängte er ihr meinen persönlichen Gürtel um.
Lucia als Boxerin mache ich keinen Vorwurf. Ich hatte den Titel dieses Verbandes offiziell niedergelegt, und jede Boxerin auf der Welt hatte das Recht, um diesen WM-Titel zu kämpfen. Genau wie sie es getan hat, wenn auch nicht auf die ganz saubere Art und Weise. Beim Boxen ist jeder ein Einzelkämpfer, kein Teamplayer, und wenn es die Möglichkeit gibt, Weltmeisterin zu werden, dann muss man sie ergreifen. Ich hätte das auch getan, jede hätte das getan, das steht außer Frage. Es ging meinem Vater auch nicht speziell um diese Sportlerin oder um ihre sportliche Karriere. Es hätte auch jede andere sein können. Hauptsache, sie boxte gut genug, dass er ihr nach dem Kampf meinen persönlichen WM-Gürtel als symbolische Siegtrophäe umhängen konnte. Diese Geste war wirklich niederträchtig. Das Bild, wie Lucia meinen WM-Gürtel hochreckt, werde ich nie vergessen.
Zu meinem 26. Geburtstag am 17. März schickte mir mein Vater eine SMS aus dem Libanon, in der nur stand: »Alles Gute zum Geburtstag.« Er war also schon wieder dort. Am nächsten Tag entdeckte ich, dass an meinem Auto, einem Sponsorenauto, zwei Reifen aufgestochen und die ganze Seite zerkratzt worden war. Ein wirklich nettes Geburtstagsgeschenk. Ich rief die Polizei, machte aber kein großes Aufheben um die Sache.
Nur meine Familie, die Polizei und der Sponsor erfuhren davon. Ich bekam neue Reifen und wollte den Kratzer irgendwann später beseitigen lassen. Ich bat alle, meinen Vater nicht darauf anzusprechen, auch nicht beiläufig am Telefon. Denn persönlich konnte mein Vater das ja nicht gewesen sein, er hielt sich zu der Zeit schließlich im Libanon auf. Dass er damit dennoch etwas zu tun haben könnte, war mir aber sofort klar. Es musste ja irgendjemand dem oder den Tätern verraten haben, in welcher Garage mein Auto stand und dass diese nie abgeschlossen war.
Kosta hatte mir eigentlich davon abgeraten, die Polizei zu rufen, weil das meinen Vater nur noch mehr provozieren würde. Seiner Meinung nach sollten wir noch einmal versuchen, uns alle an einen Tisch zu setzen und ein vernünftiges Gespräch zu führen. »Er ist doch immer noch dein Papa«, redete er mir zu, »er kann doch nicht völlig zur Bestie geworden sein. Er muss doch irgendwo das Gefühl haben: Hey, das ist meine Tochter, und sie braucht mich.« Ich aber wollte davon nichts hören und weigerte mich, auf Papa zuzugehen. Doch Kosta blieb bei seiner Meinung und sagte: »Mach’s! Sonst hat das alles keinen Sinn.«
Als mein Vater zwei Tage später aus dem Libanon zurückkam, verabredete ich mich mit ihm per SMS in einer Eisdiele. Allein. Mit Kosta hätte er kein Wort geredet, es wäre grundsätzlich kein vernünftiges Gespräch möglich gewesen. Ich nahm mir fest vor, mich nicht provozieren zu lassen, ruhig zu bleiben, nicht auf Papas blöde Kommentare einzugehen, sondern ganz sachlich zu sein.
Seit dem Gewaltausbruch am 29. Dezember hatte ich meinen Vater nicht mehr gesehen – und erschrak, als ich ihn in der Eisdiele sitzen sah. Da hockte ein alter, gebrochener Mann vor mir mit flackerndem, wahnsinnigem Blick. Das war nicht mehr der Papa, den ich kannte. Es dauerte nur wenige Minuten, bis das Gespräch aus dem Ruder lief und er mir wieder drohte: »Meinst du wirklich, dass du, nachdem du mir alles genommen hast, einfach so davonkommen wirst?« Er wollte jetzt im Gegenzug auch mir alles nehmen. Eine Zeit lang konnte ich mich beherrschen und dachte bei mir: »Ja gut, das kenne ich schon.« Er hörte aber einfach nicht auf mit seinen finsteren Aussagen.
Irgendwann sprach ich auch das Thema mit der anderen Boxerin an, weil es mir auf der Seele brannte. Ich erklärte ihm, dass es mir nichts ausmache, dass er als Promoter arbeitete, und ich ihm und der anderen Sportlerin viel Glück wünsche. Er sollte es aber doch nicht so unmenschlich werden lassen. Da begann er zu feixen. Sagte frech: »Du hast doch keine Ahnung, warum ich Lucia unter Vertrag genommen habe.« Wieder versuchte ich, ruhig zu bleiben, und sagte nur, dass mich das auch nichts angehe, ich es nicht hören wolle. Erst später sollte ich erfahren, worum es wirklich gegangen war. Er redete sich um Kopf und Kragen, als er mit
Weitere Kostenlose Bücher