Stehaufmaennchen
hatte wohl dieselbe Idee. Stehen uns gegenüber. Anja ist mit vollen Einkaufstaschen und einer Tüte Teilchen bepackt. Ganz Kavalier, bring ich sie nachhause und helfe ihr sogar bei der Schlepperei, indem ich ihr die Teilchen abnehme. Wir gehen schweigend nebeneinander her. Komme auf die Idee, sie zum Tanzen einzuladen. Überlege fieberhaft, wie ich mein Vorhaben am charmantesten formulieren könnte. Vor der Haustür hab ich‘s.
»Wissu tanzn? Wochende?«
Für einen Moment bleibt die Zeit stehen, doch dann ergießt sich eine Explosion des Glücks durch meinen Körper. Denn Anja sagt zu! Eine erfüllte Liebe kann so einfach sein! Bin überglücklich!
22. November 1974
Bin todunglücklich! Denn mir ist eingefallen, dass ich gar nicht tanzen kann! Ich Idiot! Warum hab ich sie nicht zu irgendwas eingeladen, was ich kann? Knödelwettessen oder Frösche aufblasen. Bin verzweifelt.
23. November 1974
Gehe die Sache wie ein Mann an und probe den Ernstfall. Übe den ganzen Tag Klammerblues mit unserem Pudel Snobby. Ich führe. Bin sehr zufrieden! Den Zungenkuss üb‘ ich nächstes Mal aber lieber, bevor Snobby seinen Pansen gefressen hat.
24. November 1974
Der große Tag ist da. Habe mich extra schick gemacht. Weiße Flanellhosen, an den Oberschenkeln knalleng, unten mit schönem Fünfzig-Zentimeter-Schlag. Dazu lila Plateauschuhe und ein farblich abgestimmtes orangefarbenes Hemd, dessen Kragenso groß ist, dass man fast einen Segelschein braucht, um es zu tragen. Mit einer dazu passenden grünen Krawatte unterstreiche ich meine Individualität.
Hole Anja ab, und wir gehen zum Tanzen in den Jugendtreff. Auf dem Weg dorthin bekommt unsere zarte Liebe schon die ersten Risse, denn die Unterhaltung mit Anja erweist sich als zäh. Sie interessiert sich nur für langweilige Dinge wie Dalia Lavis’ Liebesgeschichte oder die neue Scheitelfrisur von Chris Roberts. Von spannenden Dingen hat sie keine Ahnung. Sie weiß noch nicht mal, wie man einen Spion lautlos tötet.
Gute Musik ist auch nicht ihr Ding, denn im Jugendtreff will sie die ganze Zeit Bay City Rollers hören. Slade kennt sie überhaupt nicht. Kriege große Zweifel. Kann eine Liebe so stark sein, eine Frau zu lieben, die Slade nicht kennt?
Setze alles auf eine Karte und bringe meinen verführerischen Körper ins Spiel. (Schwierig, wegen der Plateauschuhe!) Wahre Liebe funktioniert auch ohne Worte. Nehme Anja in den Arm und stecke ihr meine Zunge in den Mund. Genau so, wie ich es mit Snobby geübt habe. Ich muss zugeben, Anja schmeckt besser. Dafür haut Snobby mir nach dem Kuss keine runter. Bin kurz versucht, ihr auch eine zu semmeln, besinne mich aber auf meine Rolle als Gentleman und boxe sie nur leicht gegen den Arm. Bezahle unter Anjas Gekeife die Getränke (meine!) und gehe nach Hause. Anja ist einfach noch zu unreif.
25. November 1974
Schreibe einen letzten Brief. Ich hätte die Schnauze voll und würde mich trennen. Sie wäre einfach noch nicht so weit für eine Beziehung mit mir.
26. November 1974
Anjas Mutter ist wieder zurück. Ihr Mann nimmt sie zur Begrüßung in die Arme. Beide weinen. Kann ich verstehen.Einen besseren Schwiegersohn als mich hätte ihre Tochter nicht bekommen können.
16. Schlachtfeld Pubertät
2. März 1975
Habe mich verändert. Mama sagt, man merkt, dass ich mitten in der Pubertät stecke. Ich wäre launisch in letzter Zeit. So ein Quatsch. Bin die Ruhe selbst.
3. März 1975
Bin auf hundertachtzig! Habe einen Pickel entdeckt. Bekämpfe ihn wie ein Mann und drücke diesen Mist saublöden kackdoofen verXXXten Pickel mit aller Brutalität aus! Tod der Akne!!!
4. März 1975
Könnte heulen. Schon wieder ein Pickel. So kann ich mich nicht in der Stadt sehen lassen. Ich kann mich sowieso nicht in der Stadt sehen lassen. Nie mehr. Denn ich sehe total blöd aus. Käsig, lange fettige Haare, Pickel, doofe Klamotten, alles ist so grau und traurig. Bin tief deprimiert.
Hat das Leben einen Sinn?
5. März 1975
Könnte die Welt umarmen! Einfach so!
6. März 1975
Schon wieder ein Pickel! MIST!
7. März 1975
Die Hormonumstellung vom Kind zum Mann bringt noch andere Veränderungen mit sich. Zum Beispiel eine erhöhte Schweißabsonderung. Während man als Kind tagelang ungewaschen rumrennen kann und immer noch riecht wie ein Pfirsich, ist dies in meinem Alter nicht mehr möglich. Streng genommen ist es sogar nicht mehr möglich, länger als eine Stunde ungeduscht unter Menschen zu gehen. Nach fünfzehn Jahren Dornröschenschlaf machen sich
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