Stehaufmaennchen
anderen zu popeln. Der Verschluss will nicht. Überlege, die Stewardess zu fragen, ob man nicht noch mal halten kann, bis ich richtig angeschnallt bin. Dann drückt mich eine abartige Beschleunigung in den Sessel. Die Triebwerke heulen auf. Kriege irgendwie den Gurt zu und klammere mich rechts an der Lehne und links am Knie meines Nebenmannes fest. Schließe die Augen. Wie hoch wir wohl schon sind? Plötzlich lässt der Triebwerklärm nach. Was ist? Sind die Turbinen ausgefallen? Stürzen wir ab? Dann müssten die anderen Passagiere doch eigentlich panisch kreischen. Öffne vorsichtig die Augen. Wir stehen immer noch auf dem Rollfeld. Aber hundert Meter weiter weg vom Terminal. Meine Fresse, was werde ich durchmachen, wenn die Kiste erst mal wirklich startet? Merke, dass ich dringend aufs Klo muss. Pinkeln. Stehe auf, aber die Stewardess meint, ich soll sitzen bleiben, wir würden jetzt starten.
»WAS, JETZT?«
»Natürlich.«
»Das geht nicht! Ich muss ganz dringend! Ich platze!«
Die Stewardess seufzt. Wenn es wirklich so dringend wäre, würde sie dem Käpt‘n Bescheid geben, er möge noch zwei Minuten warten. Könnte die Frau küssen. Sie mich, glaub ich, nicht. Verspreche, mich zu beeilen, hetze auf das Klo und bleibe fast in der Tür stecken. Wie transportieren die eigentlich Menschen, die wirklich dick sind? Zwänge mich seitlich gedreht ins Klo und schließe ab. Stelle mich vors Klo (hinsetzen geht nicht) und versuche, die Brille nicht nass zu machen. Die Brille bleibt staubtrocken, denn ich kann vor Nervosität überhaupt nicht pinkeln. Verdammt! Dabei hab ich so einen Druck! Die Stewardessklopft an die Tür. Verliere tatsächlich etwas Flüssigkeit, leider nur über meine Schweißporen. Ich drücke wie bekloppt, doch kein Tropfen will kommen. Die Stewardess hämmert lauter an die Tür. Da löst sich was. Aber kein Nass, sondern meine Armbanduhr findet den Weg in die Schüssel. Zum Glück steht kein Wasser drin. Meine Uhr liegt auf einer Art Klappe. Greife mit der rechten Hand in die Schüssel. Stütze mich dabei mit der anderen Hand ab und betätige wohl versehentlich die Spülung. Habe das Gefühl, mein rechter Arm wird von einem gigantischen Strudel ins offene Meer gesogen. Man kann sagen, was man will, aber die Spülung in so einem Flugzeug sucht ihresgleichen. Der Malstrom ist nix dagegen. Bevor ich komplett im Orkus verschwinde, hört der Zauber auf. Glück gehabt. Atme einen Moment durch, als ich wieder energisches Klopfen vernehme. Setze mein bestes Lächeln auf und öffne die Tür. Draußen starren mich ungefähr 150 Augenpaare vorwurfsvoll an. Quetsche mich wieder in meinen Sitz. Der Druck auf der Blase ist erstaunlicherweise verschwunden.
Eine Minute später ist der Druck wieder da, denn diesmal starten wir wirklich. Presse mich in den Sitz und bohre meine Finger wieder ins Knie des Nachbarn. Schließe die Augen und zähle bis hundert. Bei 69 muss ich daran denken, was passiert, wenn jetzt ein Vogel ins Triebwerk fliegt. Ein Albatross zum Beispiel. Blicke aus dem Fenster, um nach Albatrossen Ausschau zu halten. Ein Fehler. Ich sehe nämlich keinen Albatross, aber die Erde. Und zwar aus einer Perspektive, die mir bis jetzt völlig fremd war. Und meinem Magen auch.
Es gibt nichts Erniedrigenderes, als vor dem Sitznachbarn in eine Tüte zu kotzen. Bis auf eins: vor dem Sitznachbarn in etwaszu kotzen, was man fälschlicherweise für eine Tüte hielt und was sich dann als Broschüre mit Sicherheitshinweisen entpuppt.
Nach zehn Minuten erlischt das Anschnallzeichen und ich darf endlich in den Waschraum. Bin erleichtert. Mein Sitznachbar auch. Und viele andere wahrscheinlich auch, denn man kann ja nicht einfach zum Lüften mal ein Fenster öffnen. Reinige mich so gut es geht und nehme wieder Platz. Versuche, an etwas Schönes zu denken. Aus den Augenwinkeln registriere ich, dass wir über den Wolken sind. Die Erde ist nicht mehr zu sehen. Gut. Dann bemerke ich einen winzigen Punkt am Horizont. Ein anderes Flugzeug? Kommt es näher? Hat es uns gesehen? Was, wenn wir mit ihm zusammenstoßen? Klingele nach der Stewardess und mache sie auf das Flugzeug aufmerksam. Ja, das wäre so, der Luftraum über Europa stünde nicht nur uns zur Verfügung. Selbst, wenn ich mitflöge. Aber ich solle mir keine Sorgen machen, man hätte ja schließlich auch Radar und es gäbe ja auch noch Fluglotsen. Bin erleichtert. Greife zu einer Illustrierten. Tschernenko ist neuer Chef der Sowjets, Michael Jackson wird von
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